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80 Donnerstag, 04.06.2020

Die seltsamen Zeiten gehen vorbei. Jedenfalls die Kernzeit der Krise nähert sich dem Ende. Ich merke es auch daran, dass die Sprache ausdünnt, weil vieles gesagt ist und nicht mehr allzu viel Neues gesagt werden muss. Gesagt werden soll nur Neues, man braucht nichts Altes wiederzukäuen. Schon recht früh habe ich die Kernzeit auf etwa drei Monate angepeilt, und insgeheim für mich beschlossen, dass ein Narrativ über hundert Tage gehen könnte, weil es eine schöne runde Zahl ist. Jetzt bin ich erleichtert, dass sich die Schätzung bewahrheitet hat.
Wir kehren zurück zur Normalität, wenn auch mit Vorbehalt. Und wir tun es nur in manchen Bereichen des Lebens. Dass uns die Ereignisse noch weiterbegleiten, steht fest, seine Auswirkungen werden noch in vielen Jahren zu spüren sein – wenn nicht mehr in wirtschaftlicher, dann in sozialer, philosophischer, ökologischer Hinsicht. Und wer weiß: Im Herbst und Winter stellt sich die Frage einer zweiten Welle. Wie unwahrscheinlich uns eine solche im Moment auch erscheinen mag, es könnte sie geben. Es wird dann interessant sein, ob wir ähnlichen Fallzahlen mit anderen Mitteln begegnen, ob wir die Krankheit laufen lassen und ihr mehr Spielraum geben, indem wir sie einordnen als eine unter vielen, der man zwar mit dem gebotenen Respekt, jedoch nicht mit panischer Angst und kopflosem Handeln begegnen sollte.
Falls es eine zweite Welle gibt, werden wir aus der ersten wichtige Lehren gezogen haben. Vielleicht auch jene, dass die Menschen nicht alles mit sich machen lassen sollten. Hätte es uns und unser Gesundheitssystem härter getroffen, würde der Blick in die Zukunft weniger unbeschwert sein, und die Einschätzung des Kommenden weniger leichtfertig. Wahr bleibt weiterhin, dass man aus all dem kaum schlau werden kann. Widerborstig mitschwingen ist alles, was uns bleibt. Das verlangen uns die Ereignisse ab.
*
Die Kernzeit von Corona tröpfelt aus, und damit auch das Narrativ. Bei hundert Notizen ist Schluss. Was ein Vorspiel hat, soll auch ein Nachspiel haben, und erhält erst so den schlüssigen Verlauf. Es ist wichtig, etwas stimmig zu beenden, um das Bisherige nicht zu entwerten. (Gerade im Zwischenmenschlichen leuchtet uns das ein.) In drei Wochen ist alles auserzählt.
Man muss sich die Zeit nehmen, in Ruhe und Würde den Schlusspunkt zu setzen, alle Fragen einer Antwort zuzuführen, auch wenn es oft eher dem Verschorfen einer Wunde gleichkommt, die unter der Kruste weiterhin offen bleibt, und schmerzt und schwelt. (Notdürftiges Verarzten der Überforderung.) Man muss hochdämmern und das Auftauen der Sinne mitempfinden, jeden Finger und jede Zehe in den neuen Tag begrüßen. Nach hundert Tagen werde ich zurückschauen und mich wundern, aus welcher Art von Traum ich aufgewacht bin – dass es ein Albtraum war, stimmt nur so halb.

Eine junge Frau zieht an einer Zigarette und sieht dabei irgendwie gemein aus. Sie tut dem Filter absichtlich weh.

Ein Nachtspaziergang über den Gürtel. Alles noch unangenehm zu. Bei der Burggasse, vor der Hauptbücherei, sind alle Essensbuden tot, beleidigt haben die Standler ihre Jalousien heruntergezogen. Ein Abstecher zum Pinkelbusch, um mich geschützt vor Blicken zu erleichtern. Die Gürtelnacht ist langweilig. Um die Lokale verziehen sich ein paar Gestalten. In der Nacht sind alle Menschen ungefähr. Die Stadt soll zurückkehren in ihre aufgekratzte Gesprächigkeit.

Trägt ein Hund in der U-Bahn keinen Beißkorb, hat er Angst vor sich selbst.

Kanalarbeiten, ein edles Geschäft. Eine wichtige Straße wird dafür abgesperrt. So geht das also: Da wird das neue Programm der Freiheitlichen Partei ausgehoben – mitternachts bei Vollmond. In den tiefsten Tiefen werden sie fündig, im Morast der niedersten Triebe. Man gräbt es hervor und ist gut gestellt für den kommenden Herbst. (Die größte Leistung der Freiheitlichen Partei in den letzten Jahrzehnten ist die Herstellung und Distribution von brauchbaren Kugelschreibern als Wahlkampfgeschenke. Rechtspopulisten waren schon immer fähige Straßenkeiler. Auf die Qualität ihrer Kugelschreiber dürfen sie sich wirklich etwas einbilden. Und auf die regelmäßigen Abspaltungen als selbstloser Dienst an der Demokratie.)

Rolltreppenreinigung ist das edelste Geschäft. (Geistesgegenwärtig auf der Rolltreppe einen Schritt zurück machen, um mit dem Vordermann nicht auf Arschhöhe zu sein.)

Ausritt mit dem Anwalts-Freund. Längst geht er wieder normal ins Büro. Wir plaudern durch abklingenden Sommerregen. Er berichtet vom Gutachten eines Historikers und beschreibt ein geschichtsdidaktisches Vermittlungskonzept (wieder so ein unerbittlicher Begriff, der gleich mitnotiert wird, in der Juristerei kennt man die besten Wörter). Von dem, was mein Freund erzählt, verstehe ich wie immer nur die Hälfte, doch ich lausche den Ausführungen wie einem verrätselten Gedicht, und genieße es sehr. Ich bin die Kuh, die Mozart hört, und gebe gute Milch.
Wir essen wo draußen einen Burger und trinken zwei Bier. Ich habe den einen oder anderen Gin Tonic Vorsprung, meine abendliche Entspannungsübung zum Bündeln der Kraftreserven. (Am schönsten sind Tage ohne Büro, sage ich, da kann ich mich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Er lacht bitter.) Wir sitzen halb im Regen, unter dem Übergang von einer Markise zur nächsten. Die Kellnerin schlägt uns den frei gewordenen Nebentisch vor. Dankbar gehorchen wir. Das Bier ist bernsteinfarben. Die Gläser werden eingefettet von den Händen. Der Burger zerfällt. Es schmeckt gut. Nach dem Essen gehen wir spazieren.
*
Wir kommen an der Republik Österreich vorbei. Auf der Tür steht: Bin erreichbar unter – dann eine unscheinbare Mobilnummer. Ich wähle sie. Die Republik Österreich hebt ab und fragt, worum es geht. Im selben Moment öffnet sich die wuchtige Tür und die Republik Österreich stellt sich uns persönlich in den Weg. Ich lege auf. Die Republik Österreich blickt uns skeptisch an, jedoch nicht vorwurfsvoll. Ihre Maske hat sie aufs Kinn geschoben. Wir erklären, dass wir nicht stören wollten, sondern nur die Nummer ausprobieren. (In spätpubertärem Übermut mit angetrunkener Courage, vergesse ich zu sagen.) Wir seien sicher gewesen, bloß ein Tonband zu hören. Am Schild seien keine Öffnungszeiten vermerkt gewesen.
Die Republik Österreich mustert das Türschild und nickt. Stimmt, sagt die Republik Österreich, vielleicht sollte da etwas stehen. Die Republik Österreich spricht mit böhmischem Akzent, was ja auch irgendwie passt. (Später freut sich der Anwalts-Freund, dass die Republik ins Ausland outgesourced wurde.) Allgemeine Erheiterung. Wir entschuldigen uns bei der Republik Österreich und versprechen, uns nicht mehr zu melden. Es sollen nur noch wichtige Leute anrufen, die wirklich etwas brauchen. Die Republik Österreich ist nicht böse. Wir verabschieden uns. Die Republik Österreich ist immer für einen da.
*
Türhüterparabel Light oder Türhüterparabel Revisited oder Türhüterparabel Remix. Die Geschichte des Mannes vom Lande hätte auch ganz anders ausgehen können, und anfangen übrigens ebenso. (Vom Dazwischen gar nicht erst zu sprechen.) Die Republik Österreich verhält sich ganz anders als der unerbittliche Türhüter bei Kafka. Sie macht jedem auf, man erhält sofort Zutritt. Sie fragt einen nach dem Anliegen und ist bestrebt, einem weiterzuhelfen. Bestimmt würde sie einen ohne Murren hineinlassen, wenn man darum bittet.
Die Republik Österreich stellt Kafka auf den Kopf. In dieser Abwandlung der Geschichte – mit anderer Parabel und ganz neuer Moral – ist es der Besucher, durch den alles ins Stocken gerät, weil ihm nicht einmal einfällt, was er überhaupt braucht, ob er nun drinnen oder draußen sein soll. Damit ist die Chance verspielt. Und so bald wird es keine zweite mehr geben. Vielleicht ändert die Republik Österreich ja ihre Nummer oder nimmt den Zettel von der Tür, dass sie nicht so oft gestört wird. Man muss schon wissen, was man will. Sonst gehen die Menschen kopfschüttelnd auseinander und sind durch die Geschichte auch nicht schlauer geworden.
*
Vor dem Gesetz
Vor dem Gesetz ist eine Tür. Zu dieser Tür kommt ein Mann vom Lande und sieht, dass darauf ein Zettel angebracht ist. Auf diesem Zettel steht eine Telefonnummer. Der Mann vom Lande wählt diese Nummer, woraufhin sich die Tür öffnet. Ein Türhüter erscheint und fragt den Mann vom Lande, was er wünsche. Dieser ist erstaunt und murmelt, dass er kein Anliegen habe. Der Türhüter nickt. Der Mann vom Lande überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.
„Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jederzeit“.
Der Mann vom Lande kratzt sich am Kopf. Damit hätte er nun wirklich nicht gerechnet.

Stell dir vor, du wärst das Wetter – würde es dir nicht auch hin und wieder regnen?
Oder:
Stell dir vor, es ist Wetter, und keiner geht raus.
Und:
Wegen dem bisschen Sommergewitter mach ich mir doch nicht den Schirm nass.
Sowie:
Auch eine Plastikgabel schützt vor Regen; nur eben nicht sehr gut.

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79 Mittwoch, 03.06.2020

Der Tag macht sich den obersten Hemdknopf auf.

Ausloten einer Konzertmöglichkeit. Angedacht ist eine Art Schichtbetrieb, man spielt also sein Set für eine streng limitierte Menge an Leuten, und dann, nach etwa eineinhalb Stunden, spielt man das Set ein weiteres Mal. So zahlt es sich aus für die Gastronomie des Veranstaltungsorts. Doch das hieße, Gäste konsequent hinauszubefördern, dass die nächsten hineingehen und konsumieren dürfen. So ergibt das keinen Sinn. Dann lieber noch warten. Oder draußen? Gibt es wo ein Wetter?
*
(In Form geklopfte Altnotiz: Der Fehler des Konzerts besteht darin, dass die Musiker viel zu gut sind, also viel zu komplizierte Rhythmen und Melodielinien viel zu sauber herunterspielen können. Sie gehen kein Wagnis ein, als Zuhörer bleibt man seltsam außen vor. Der Gitarrist ist langhaarig und bloßfüßig, fabuliert am Griffbrett in vollends ausgereizter Pose. Ihm zusehen heißt etwas verlieren. Die Sängerin verschleiert zu wenig den autobiographischen Hintergrund der Stücke. Allzu klar erkennt man den verwundeten Menschen hinter der Stimme und die Geschichte hinter den Zeilen. Es hallt im Raum vor klagender Sehnsucht, es erklingt eine durchkomponierte Beziehungszäsur. Trennungsverarbeitungssongs als überbordendes Genre, einer unbelehrbaren Herzlogik folgend. Aus der Ratlosigkeit über Bande gespielt in die Mitte der Musik.)

Unerbittlicher Begriff: Diffusionsphänomene

Liebesgeschichte: Eine Frau kommt nach Hause und bemerkt, dass jemand einen Blumenstrauß bei ihr hinterlassen hat. Karte ist keine dabei. Wer könnte es gewesen sein? Der Zweitschlüssel ist sicher verwahrt. Sie telefoniert ein bisschen herum im Freundeskreis. Am ehesten dieser eine Verehrer, der ein bisschen crazy war. Aber er scheidet aus, wegen Erasmus in Bologna. (Mit Zeugenbefragung per Stream.) Verdacht fällt auf die Reinigungsfirma, von der sie manchmal Leute im Stiegenhaus antrifft. Aber wie? Gibt es einen heimlichen Verehrer? Die Frau ist ratlos. Sie lässt den Blumenstrauß vorerst auf sich beruhen und erfreut sich daran.
Eines Tages kommt die Frau nach Hause, und es steht ein fertiggekochtes Essen am Herd. Eine Schüssel und andere Utensilien trocknen sauber neben der Abwasch. Die Frau ist panisch, durchsucht die ganze Wohnung, ruft, dass derjenige endlich herauskommen soll. Niemand da. Sie richtet an, setzt sich an den Küchentisch und isst. Es schmeckt vorzüglich. Eindringliches Kauen.
*
In diesem Sinne geht es weiter. Manchmal, wenn die Frau von der Arbeit nach Hause kommt, wartet eine Überraschung auf sie. Blumen, Schokolade oder ein Buch, das ungefähr ihren Geschmack trifft. Oft steht etwas Gutes am Herd. Manchmal stammt das Rezept aus einem der Kochbücher, die leicht versetzt im Regal stehen. Die Frau überlegt, eine versteckte Kamera zu installieren, doch sie lässt es bleiben, weil sie das, was sie hat, nicht zerstören will. Sie gesteht sich ein, dass es die bedeutsamste Beziehung ist, die sie jemals hatte. So geht es weiter. Nichts wird erklärt. (Der Rest soll sich ganz im Kopf des Lesers abspielen; etwas Vages sich fröhlich entfalten.
*
Jetzt könnte sich die Geschichte in unerwartete Richtungen verzweigen, wie eine Maschine, die niemand mehr bedient. Irgendwann beginnt die Frau, dem unbekannten Eindringling genauso kleine Geschenke zu hinterlassen, die dann ebenfalls verschwinden. Sie hinterlässt Nachrichten, kleine Zettelchen, die sie mädchenhaft bekritzelt und zerknüllt. Wie damals in der Schule, sobald sich die Lehrerin umgedreht hat. Erst nach mehreren Anläufen gibt es eine zögerliche Antwort. Eine Brieffreundschaft ins Blaue hinein. Natürlich hat die Frau ein Bild vor sich: Ein Mann in ihrem Alter und auf Augenhöhe. Welche Verstörung, würde sich der unsichtbare Gast als korpulente Großmutter entpuppen. Die Frau schläft ein zum Traum eines Verführers, hantiert dabei mit ihren kalten Brüsten. (Das Fenster ist offen, ob wer hineinfliegt.)
Ein abruptes Ende könnte sein, dass die Hinterlegungen eines Tages verschwinden. Ohne Anlauf zu nehmen, ohne Ankündigung. Sie verschwinden wie sie aufgetreten sind – aus heiterem Himmel. Die Frau zerbricht sich den Kopf, was geschehen sein mag: Ist derjenige gestorben? (Am Herweg vom Auto überfahren.) Hat er sich abgewendet, weil sie etwas falsch gemacht hat? Gilt seine stille Zuneigung jetzt einer anderen? Die Frau ist schwach vor Zorn und bleibt ratlos zurück. (Wer ganz viel weint, geht irgendwann erfrischt daraus hervor. Allein schon aus Erschöpfung.) Es ist wie ghosting ohne den anderen jemals gekannt zu haben. Sie hätte das Wunder mehr auskosten sollen. Die Frau entsteigt ihrem Schmerz wie einem brennenden Haus. Wir kommen und wir gehen allein.

Sich fühlen, als wäre man spurlos verschwunden.

Unerbittlicher Begriff: Impfling

Orte mit Katzen haben immer ein Geheimnis. Und wo Katzen leben, dort herrschen sie. (Über Katzen ist alles gesagt; auch, dass über sie alles gesagt ist.) Ich dachte immer, sie sind gescheit, daher ihr Stolz, doch ich lerne, dass Katzen dumm genug sind, ihren eigenen Schwanz zu verfolgen und einen hektischen Trickfilm drehen. Sie erkennen ihn nicht wieder, nesteln daran herum wie unsereins an einem schwerwiegenden Gedanken. Falsch, sagen die Katzen – so dumm können nur Hunde sein.

Unerbittlicher Begriff: Clusterverdacht

Bei Wunder und Wunden handelt es sich um dasselbe Wort. Eines ist die Verschriebenheit des anderen. Und was ist mit dem Zwitterwort wundern? Das gibt es nicht.

Unerbittliche Begriffe: Inzidenz und Prävalenz

Jemand schneuzt ins Taschentuch einen Rorschach-Schmetterling, der bereits leicht blutig ist. Wer mag, sieht darin einen Beckenknochen oder eine schwarze Lunge aus Krebs.

Das Eskalieren der Protestmärsche in den Vereinigten Staaten verdrängt den Virus aus den Überschriftenspalten. Die Lage ist unübersichtlich. Was als Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt begann, setzt sich in manchen Städten fort als sinnlose Zerstörungswut samt Plünderungen. (Schaufenster werden neuerdings mit Skateboards eingeschlagen, was praktisch ist, weil man so gleich sein Fluchtfahrzeug hat.) Unter ehrlich Unverstandene mischen sich Verbrecher. Brennenden Autos können nicht mehr im Sinne einer Bürgerrechtsbewegung sein. Es wird auch geäußert. Wer in Atlanta Geschäfte anzündet, fackelt die black cumminty ab. Bilder der Versöhnung: Polizisten knien als Zeichen nieder, Protestler fallen ihnen überschwänglich um den Hals. So geht Zukunft.
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Ein monströser Präsident verschanzt sich im Bunker, ordnet das Einschreiten des Militärs an. (Der Schimpfwortschatz reicht für ihn längst nicht mehr aus. Er ist ein Mensch ins Gegenteil verkehrt. Sein Niedergang wird ein Feiertag sein.) Ausgangssperren treten in Kraft. Ein anderer, altbekannter Ausnahmezustand. Corona als ein Glutnest, das über die Wochen eine Stimmung anheizte. Virusmüde maskiert. Dutzende Millionen neuer Arbeitsloser und Armer, die sich in kilometerlangen Schlangen würdelos zur Ausgabe der örtlichen food bank anstellen. Mühsam protzen die Karossen. In den Vereinigten Staaten lebt man auf Pump und am Limit. Krankenversicherungen sind ein Luxus, den sich nur die Privilegierten leisten können, von denen es immer weniger gibt. Die Mittelklasse schwindet, rutscht ab in eine zahnkranke Unterschicht. Die Kaste der Superreichen entscheidet derweil den Ausgang der kommenden Wahl. Auch der Herbst wird brennen. Noch steht das weiße Haus.

Umschwiegen von lauerndem Trost. (Zum Beispiel als Angehöriger auf einem Begräbnis.)

Allzu jung heiraten, um sich dann umso früher wieder scheiden lassen zu können. (Trend in meiner wankelmütigen Generation.)

Unerbittlicher Begriff: Atemwegsaspekt

Einmal war wo die Rede von einer hundertfreudigen Empfindung – aber wer löst sie aus?

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Unerbittlicher Begriff: Dispersion

Schreibgezeiten: Sammeln, taumeln, brodeln – Eruption. Rückzug, und wieder ins Sammeln.

Unerbittlicher Begriff: Eh

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78 Dienstag, 02.06.2020

Die Sonne dreht uns immer das Licht ab. Wie Kinder laufen wir zum Schalter und drehen es wieder auf.

Der Schlüsselbund als praktische Fußgängerklingel. Ihn herausholen und damit rasseln, sodass die Leute betrunken zur Seite schlingern. Nach Belieben und überall, nicht nur in der Einflugschneise zum eigenen Haustor.

Dreinschauen, als würde man im Moment entscheiden, dass Menschen Gesichter haben.

Beim Zahnarzt zur halbjährlichen Kontrolle. Nach Betreten der Praxis sofort die Bitte, sich zunächst die Hände zu waschen. Im winzigen Toilettenraum gibt es rosarote Flüssigseife, die auf der Haut einen runden Butterfilm hinterlässt. Zum Beweis bleibt die Tür angelehnt. Ein zweiter Versuch, sich dem Empfangstresen zu nähern, das Portemonnaie entsichert und geladen. Die Sprechstundenhilfe deutet belehrend, aber nachsichtig auf den Desinfektionsmittelspender, der etwa auf Brusthöhe in der Wand angedockt hat. Mit bravem Schnurren spuckt er mir ein weich riechendes Sekret in die Hand, was kontaktlos geschieht. Ich verreibe es mir, die Handflächen schimmern feucht. Tropfspuren am Boden hoffen auf Schritte. Ich hole ein weiteres Papierhandtuch aus der Toilettenkapsel, um mich abzutrocknen. (Beide Male betätige ich die Türschnalle gewissenhaft mit dem Ellbogen; er fühlt sich geehrt und ist sich seiner Verantwortung bewusst. Der Ellbogen ist das Knie des Arms, denke ich.) Jetzt aber. Zum dritten Mal fordere ich die Sprechstundenhilfe mit offenem Scheckkartenfächer zum Duell heraus, und ihr Lächeln kommt nicht mehr dagegen an. Ich darf.
(Die runde Butter antwortet dem weichen Geruch.)
*
Der Warteraum ist zu sauber wie ein Geschäft, das zu ordentlich ist. In einer der Polstermuscheln nistet ein Mann, der ein Warten lang vergessen hat, wie unglücklich ihn alles macht. Wir gehören zusammen, wissen es aber nicht. Beide sind wir Schaufensterpuppen für die neueste Maskenmode. (Abermals fällt mir ein, dass ich die Maske dringend waschen oder in kochendes Wasser legen, sie also auskochen sollte. Mittlerweile ist sie wohl das Gegenteil von keimfrei, eher eine verdreckte Virenschleuder; verknote ich sie bloß unten, dann baumelt sie mir herunter wie ein schludriges Lätzchen.) Ich werde aufgerufen, obwohl ich doch erst nach dem Mann bestellt habe. Aus schlechtem Gewissen kribbelt ein Körperteil, das es vorher nicht gab. Ich nicke dem Mitwartenden entschuldigend zu. Er versteht.
*
(Eine überholte Altnotiz: Ich habe meinen Zahnarzt im Verdacht, dass er bei den halbjährlichen Routinekontrollen winzige Verfärbungen bewusst übersieht und auf sich beruhen lässt, um dann ein, zwei Jahre später einen Eingriff vornehmen zu müssen, also tief in den Zahn zu bohren – was ihm kranke Lust bereitet –, und eine Füllung anzubringen – was er teuer verrechnen kann. Anstatt etwas im Keim zu ersticken, indem er kurz und entschlossen darüberpoliert, beobachtet er geduldig einen schleichenden Verlauf, der ein hartnäckiger Verfall ist. Mein Zahnarzt ist wie alle ein Verbrecher. Dennoch habe ich auch weiterhin ein entspanntes, beinahe freundschaftliches Verhältnis zu ihm.)
*
Es ist alles in Ordnung, auf dem frisch angefertigten Röntgenbild zeigt sich in den Zwischenräumen keine Zahnsteinbildung. Der Arzt rät mir sogar von einem Termin bei der Mundhygiene ab, da sich das noch nicht auszahle. Ich kann es kaum glauben, habe mit den üblichen Ermahnungen und Füllungen gerechnet, und mit der damit verbundenen finanziellen Belastung, diese bereits fest eingeplant. (Stopft man das Loch im Zahn, reißt man eines im Bankkonto auf.) Mit einiger Beschwingtheit verlasse ich das Behandlungszimmer und mache einen neuen Termin aus. In meiner Abwesenheit sind die Tropfen gewachsen. Der andere wartet noch immer. Er sitzt da als ganz dürftige Behauptung. Armer Mann.

Mit dem Essen kommt der Appetit, und oft erst beim Schreiben die Lust darauf. Dann aber richtig.

Beim Notieren unterwegs fällt mir am Zebrastreifen ein Wort nicht ein. Ich schreibe: Das zynische Ausschlachten einer (Fremdwort) Bevölkerungsgruppe. Solche Platzhalter verwende ich manchmal, um den Gedankenstrom und Schreibfluss nicht zu unterbrechen. Diesmal halte ich jedoch inne, um diese Angewohnheit zu verstehen. Denken heißt, einer Sache liebevoll das Geheimnis herausmassieren.
Das Wort fällt und fällt mir nicht ein. Es ist lauwarm und hat braunes Haar. Zum Glück ist die Ampel lange rot und ich habe Zeit, es zu fangen (mein Petri zu heilen). Auf der gegenüberliegenden Straßenseite postiert sich ein fremder Mann. Ach, du bist es, denke ich, du wirst mir helfen. Er steht da mit einem Rauhaardackel, der schwer an sich herumschleppt, obwohl er gern längst sterben würde. Die Leine baumelt als ausrangierte Galgenschlinge.
*
Der Mann trägt einen grünen Pullover, dem aus dem Hals ein Hemdkragen blitzt, seine Lederjacke erfindet ein Beige. Er steht zur Ampel in Spannung wie vor einem Feind. (Es gibt zwei Arten von Menschen: solche, die mit der Ampel warten; und solche, die gegen die Ampel warten. Ampeln erblinzeln den Unterschied und passen die Dauer ihrer Phasen dementsprechend an.)
Marginalisiert, denke ich, ein warmes, karamelliges Wort. Das zynische Ausschlachten einer marginalisierten Bevölkerungsgruppe, wollte ich schreiben. Danke, Mann. Das Fremdwort ist mir eingefallen, weil er einen grünen Pullover trägt und sein Dackel sterbensalt ist. Obwohl es keinen Sinn ergibt, wird die Begründung doppelt unterstrichen. Petri heilt. Beim Überqueren der Straße verheddere ich mich beinah in den Hund.

Wie viel ich von wartenden Männern erzähle – als gäbe es keine wartenden Frauen. Wahrscheinlich haben sie Besseres zu tun.

Die Kochlust hält sich neuerdings in Grenzen.

Alle Menschen, die mir entgegenkommen, schauen mich böse an. Sie wissen Bescheid.

Die Ankunftshalle am Flughafen. Verschiedene Leute treten auf die Bühne ins Licht, um sich zu präsentieren, manche haben Rollkoffer im Schlepptau. Sie werden den Wartenden vorgeschlagen. Jeder sucht sich einen aus, den er mit nach Hause nehmen darf.

Vergessen werden fühlt sich an.

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77 Montag, 01.06.2020

Dafür hätte es heute aber auch nicht Montag sein müssen.

Ein Kerl mit Eselsohr im Haar, damit man ihn sich besser merken kann.

Der Wunsch ist verhungert.

Alte Männer sehen aus wie Judi Dench.

Ich lerne Empörungspornographie als Ersatzwort für Nachrichten. Es stimmt sofort und rückt Medienmacher in ein ganz neues Licht.

Bei einem Konzert am Eingang sitzen und die Kassa machen, heißt zum Sheriff werden und zum Faschisten, und zu noch ein paar anderen Sachen, die man von sich gar nicht kennt. Die Leute sind Verbrecher und betrügen, wo sie können, sie stehlen sich ungerührt vorbei.
*
Ist ein Konzert wirklich gut, dann schweift man ab ins Publikum, möchte die Begeisterung in den Augen der Menschen sehen, und was die Musik mit ihnen macht. Erst über die Gesichter der Zuhörenden wird man schlau aus dem Konzert, über das Mitsingen und Hochreißen der Arme.

Niemand ist der Erfinder des rauschhaften Schreibens – das ist jeder für sich selbst.

Die Sonne kriegt noch ein Eis.

Jemand, der beim Reden keine Beistriche setzt.

Ein Bier lang wusste ich weiter.

Das Licht im Stall ist romantisch. Die Fiaker-Pferde halten konspirative Treffen ab und gründen eine Gewerkschaft. Sie fordern die strenge Einhaltung von Arbeitszeiten. Wir wären grundsätzlich auf ihrer Seite, können die meisten Wortmeldungen allerdings nicht verstehen. Irgendeine Lösung wird sich dann schon finden.

Etwas war ganz anders gemeint, als ich es gemeint habe.

Unerwarteter Effekt: Dass ein Piercing die Zartheit einer Nase unterstreicht.

Ich wäre ein sehr langweiliger Mörder. (Wann zuletzt wurde eine neue Todesart erfunden?)

Fürs hohe Alter wünsche ich mir buschig zwirbelnde Augenbrauen, ein hintergründiges Lächeln und sanfte Entschlossenheit. Der Rest wird sich ergeben.

Das ist ein Stiller – kann man etwas Schöneres über jemanden sagen?

Im Nordosten der Erinnerung.

Wer ist der amtierende Jedermann?

Die Luft draußen ist irgendwie zu offen.

Eigentlich hätte ich vor dem Essen noch duschen wollen – aber jetzt mag die Dusche auch nicht mehr.

Dem Sonnenbrand zufrieden beim Wachsen zusehen; ihn mitnehmen als Beweis für selbstversunkenes Lesen. (So dunkelrot gut war das Buch.)

Ein im Brustgurt federndes Baby: Jedes Mal aufs Neue überrascht, wie unschuldig man als Mensch eigentlich anfängt.

Das Kind ist befördert worden zu langen Hosen. (Gehaltserhöhung gibt es aber keine.)

Zweitagesmotto: Die Quadratur des Kreises im Spiegel der einfachen Seelen.

Gerade ist mir wieder eingefallen, dass ich noch niemals etwas geschrieben habe.