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93 Mittwoch, 17.06.2020

Amerikanische Comedy läuft zur Höchstform auf. Die Late Night Shows werden nach wie vor bei den Moderatoren zu Hause aufgenommen. Einen sah man anfangs gut gelaunt in der Badewanne sitzen. Einer steht immer im Garten vor Bäumen. Einer produziert in seinem Wohnzimmer, ein anderer in einem leergeräumten Dachbodenzimmer. Die zugeschaltenen Prominenten sind ebenfalls zu Hause, Interviews oft unscharf, verwackelt und abgehackt. Doch das macht nichts, die Nation rückt zusammen.
Late Night Hosts sind prägende Figuren der amerikanischen Gesellschaft, die nicht nur die Geschehnisse des vergangenen Tages in verdichteten Pointen zusammenfassen, sondern die gerade bei der jüngeren Generation zur politischen Meinungsbildung beitragen, über komplexe Vorgänge sehr verständlich und in lockerem Ton informieren und Debatten anstoßen oder weitertragen. (Im deutschsprachigen Raum können wir von so etwas nur träumen; unsere Humorkultur ist irgendwo in der Nachkriegszeit steckengeblieben – mit seltenen Sternstunden, die umso heller strahlen. Bei uns wäre es unvorstellbar, dass ein professioneller Spaßmacher oder die Moderatoren einer spätabendlichen Unterhaltungsshow die Masken fallenlassen, in ruhigem Ton mit ihrer eigenen Stimme in die Kamera sprechen und sagen, dass es um etwas geht.)
Viele behalten ihre Shows über Jahrzehnte, werden zu menschlichen Einrichtungsgegenständen in den Wohnzimmern der Seher. Klickt man sich durch die Datenbanken, sind oft tausende Folgen aufgelistet. Das ist beeindruckend. Verlässlichkeit schafft Zuneigung; Unterhaltung bedeutet auch Routine. The Show Must Go On.
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Es gibt den Moment, wo selbst der Late Night Host den Ernst der Lage anerkennt und keinen Hehl daraus macht, dass hier der Humor an seine Grenzen stößt. Er richtet sich direkt an sein Publikum –, gefühlt an die Nation –, und spricht ein paar ermutigende Worte, spendet Trost in schwierigen Zeiten. Bitteres Lachen aus Trotz. Selbst nach den Terroranschlägen des elften September wurde ausgestrahlt. Im wöchentlich produzierten Sketch-Comedy-Urgestein Saturday Night Live standen Vertreter der Einsatzkräfte zur stummen Parade, Feuerwehrmänner und Polizisten, denen für ihren unermüdlichen Einsatz Respekt gezollt wurde – live from New York. Im Hintergrund flattern gern Sterne und Streifen. Wenn die Amerikaner etwas können, dann ist es Pathos.
Wo gestorben wird, vergeht einem das Lachen. Nach kurzem Innehalten darf es weitergehen, weil es weitergehen muss. Auch jetzt, in unruhigen Zeiten mit weit über hunderttausend Todesfällen, die dem Virus zugeschrieben werden (Tendenz steigend), und einem psychisch kranken Präsidenten, dessen Niedertracht kein Maß kennt und der sein Volk nur immer weiter spaltet, witzeln die Late Night Shows gegen die Wirklichkeit an, stemmen sich mit aller Kraft dagegen. Die heilende Wirkung ernsten Humors.

Gute Witze schlecht erzählen oder schlechte Witze gut erzählen – was ist besser? Gute Witze schlecht erzählen. Gut erzählen kann sie später dann ja immer noch jemand anderes.

Unerbittlicher Begriff: Haushaltsübertragungsstudie

Gruppenchat zum Ausmachen eines Treffens.
Arzt-Freund: (Diese Nachricht wurde gelöscht.)
Anwalts-Freund: (schreibt…)
Arzt-Freund: (Bild einer Nackten in einer Badewanne voller Spaghetti.)
Anwalts-Freund: (schreibt…)
Arzt-Freund: du kannst nicht ewig was schreiben, und es dann nicht abschicken!
Anwalts-Freund: (schreibt…)
Arzt-Freund: (Pistolengebärde)
Anwalts-Freund: (schreibt…)
Arzt-Freund: (Thumbs up)
Anwalts-Freund: Seit meine Wortspenden zu so hohen Preisen verrechnet werden, lasse ich mir besonders viel Zeit.

Wer schon zu blöd fürs Leben ist, darf nicht auch noch wehleidig sein.

Die seltsamen Zeiten bedeuten in vielerlei Hinsicht eine Erstarrung. Das Vorhandene wird in seiner bestehenden Form festgezurrt, das Bekannte einzementiert. Man sieht keine neuen Strömungen entstehen oder den Durchbruch einer unbekannten Idee, die abseits von der Beschäftigung mit dem Virus stattfindet. Medien sind thematisch verstopft. Kaum etwas löst sich vom Grund und strebt an die Oberfläche der Wahrnehmung. Bei Einzelpersonen geschieht keine Statusverschiebung. Für all das kann nur eine Vorarbeit geleistet werden, eine Anstrengung, die sich zu einem späteren Zeitpunkt einlösen wird.
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Die Menschen sind müde. Unsere Köpfe hängen matt von schweren Körpern. Wir haben keine Lust auf allzu fordernde intellektuelle Verrenkungen. Woher sollte die Energie dafür auch kommen? Welche geheime Reserve könnten wir guten Gewissens anzapfen? Für Wochen und Monate mussten wir reagieren auf Eindrücke und Bilder, mussten Stellung beziehen zu Regelungen und Maßnahmen. Zu allem sollte man eine Meinung haben, sich zustimmend oder ablehnend positionieren. Wer Zeit hat, kann philosophische oder moralische Überlegungen anstellen. Das laugt aus. Es gilt, einen sich ständig verändernden Alltag zu organisieren. Feinjustierung der Seelen. Wann darf man ans Meer?
Die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft ist begrenzt, und die Sinne zeigen starke Ermüdungserscheinungen. Wir ziehen uns zurück an vertraute Orte, und wollen umgeben sein mit dem, was wir kennen. Anlächeln sollen uns bekannte Gesichter. Wir hören alte Stimmen. Bald darf man ans Meer.

Ich komme aus einer möglichen Zukunft. Schön hättet ihr es hier!