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86 Mittwoch, 10.06.2020

Der Mittwoch ist der schlechteste Tag. Jeder weiß das, und er selbst weiß es auch. Er wünscht sich nichts sehnlicher als eine Beförderung zum Donnerstag oder wenigstens zum Montag, von einem Samstag oder Sonntag wagt er gar nicht erst zu träumen. So ein Donnerstag macht Hoffnung, und ein Freitag ist ohnehin nur reine Formalität, der Einkehrschwung ins Wochenende. Wie spannend muss das sein, mit Freizeit und Familienzwist. Am Montag nehmen Dinge ihren Anfang, und am Dienstag ist man noch gut bei Kräften, spielt sich erst warm. Der Mittwoch allerdings hängt verloren in der Mitte der Woche.
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Er wartet an roten Ampeln und gerät in den Stau, er steht rechts auf der Rolltreppe und stellt sich lange vor der Post an. Sein Akku ist leer. Ihm fallen Sachen herunter. Am Mittwoch ist noch nichts in die Gänge gekommen, aber bereits wieder am Abflauen. Wenn er vor dir im Supermarkt etwas kauft, dann wirst du ihn dir nicht merken. Der Mittwoch hat ein Allerweltsgesicht. Er trägt normale Schuhe und eine einfärbige Hose, er trägt keine Brille und hat eine unscheinbare Frisur. Wahrscheinlich würde er sich nicht einmal selbst im Spiegel erkennen. Fragt man den Mittwoch, wie es mit ihm weitergehen soll, dann bleibt die Antwort mager. Ich weiß auch nicht, murmelt er und streicht sein fades Hemd glatt. Er stellt keine Fragen und öffnet keine Tür in einen neuen Raum. Er gähnt, so langweilig ist ihm von sich. Er bleibt, wo er war. Der Mittwoch vergeht.

Unerbittlicher Begriff: Rekombination

Einen Traum lang habe ich Ohren. Jemand rügt mich dafür. Ich zeige sie her, weil warum nicht. Außerdem ist es eine andere Sache.

Ich kenne einen reisefreudigen Wasserpfeifenliebhaber, der ausschließlich Lokale besucht, in denen er gemütlich eine Shisha blubbern darf. Seit letztem Oktober geht das leider nur noch draußen. (Zuweilen behilft man sich mit Konstruktionen im juristischen Graubereich und vergibt gegen Entrichtung eines symbolischen Mitgliedsbeitrags Ausweise für einen angeblichen Club.) Dem Zusammenschluss der Wasserpfeifenlokalbetreiber ist es nicht gelungen, ins neue Rauchergesetz eine Ausnahme hineinzureklamieren. Alles wartete also sehnsüchtig auf den Frühling, um die Aktivität ins Freie zu verlagern, doch dann kam Corona und eine mehrwöchige Schließung der Gastronomie. Als dann, nach etwa zwei Monaten, unter strengen Auflagen wieder geöffnet werden durfte, regnete es. (Ein trüber Freitag, glaube ich.) Als ich durch die Stadt spazierte und mich mit dem schlechten Wetter anzufreunden versuchte, musste ich an die Betreiber all der Shisha-Bars denken, denen das Schicksal besonders übel mitgespielt hatte. Erst das Ringen mit dem Staat und der Kampf um die Existenz – manche entschlossen sich zu neuen Konzepten verbunden mit teuren Umbauten –, dann ein verstolperter Saisonauftakt, und am Tag der Wiederauferstehung kein Lichtblick weit und breit, sondern beschissener Nieselregen. Sie taten mir aufrichtig Leid. Es würde mich nicht wundern, wenn an diesem Freitag ein paar von ihnen endgültig das Handtuch geworfen hätten, weil es ihnen endgültig gereicht hat. Nie wieder ein Lokal, hörte man sie in die Gasse fluchen. Die Gastronomie ist ein hartes Gewerbe.
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Vergilbte Altnotiz: Der letzte Rauchertag. Ab Mitternacht tritt ein landesweites Verbot für Restaurants und Lokale in Kraft. Abends gehe ich in eine fragwürdige Kaschemme und bestelle mir ein großes Bier. Grobe Kerle sitzen eng beisammen und genießen stumm ihr letztes Packerl Tschick. Eine leise Melancholie hat sich in den Qualm gemischt. Die Gesichter sind blasser als sonst, es zeichnet sich darin eine Betrübtheit ab. Ich stimme ihr zu. Plötzlich überkommt mich eine Lust, zu rauchen, und ich schnorre mir eine Zigarette. Ich bin aufgenommen in den Kreis der stummen Sitzer und gehe in meiner neuen Rolle auf. Wir schimpfen auf das Verbot und ballen männlich die Fäuste. Aber es hilft nichts, morgen ist das Leben sinnlos geworden, und wir sind ausgestorben. Ich huste feierlich nach jedem Zug.
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Im Frühling ist jeder Vorwand Recht, ein heißes Bad zu nehmen. Das Gewitter kommt da nur gelegen. Nicht bloß als solches, weil es nach mehreren schwülen Tagen die wohlverdiente Abkühlung bringt, sondern eben auch als Möglichkeit, in die Wanne zu steigen und ein Buch zu lesen. Das Gewitter hat sich angekündigt, man konnte den bauchigen Wolken richtig dabei zusehen, wie sie sich zusammentrauten und etwas ausbrüteten. Sanftes Grollen ließ den Hühnerhafen erbeben. Man hat gerochen, dass gleich etwas kommt.
Beim Umblättern kleben die Finger auf der Buchseite und hinterlassen feuchte Tapser oder ein Schweißtropfen rollt aus den Brauen und fällt von der Nase in den plot twist. Alles schöne Zeichen, Gebrauchsspuren für ein Lebewesen, mit dem man die Wohnung teilt. Während draußen ein bisschen die Welt untergeht, stellt sich drinnen eine Badewannenruhe ein, die wunschlose Vertrautheit mit sich selbst. Das Wasser ist am besten eine Spur zu heiß.
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Einmal recherchierte ich für eine Bekannte sommertaugliche Party- Locations, da sie vorhatte, ihren runden Geburtstag groß zu feiern, jedoch nicht wusste, wo dies stattfinden solle. Also suchte ich herum und klickte mich durch Listen, machte mehrere Vorschläge, von denen ihr einer besonders zusagte; und auch ihrem guten Freund, der seinen runden Geburtstag mitfeiern würde, ihn kannte ich jedoch nur aus Erzählungen. Sie besichtigten gemeinsam das Gartenlokal und konnten schließlich einen Termin fixieren. Der Ort lag am Wasser und sah sehr idyllisch aus. Ich bekam Videoaufnahmen von der Besichtigung.
Meine Bekannte verfolgte eifrig die Wetterprognosen; wir scherzten, dass sie sich am besten direkt bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik informieren solle. Ich gab ihr den nicht ganz ernst gemeinten Rat, doch sicherheitshalber ein paar Hagelflieger zu engagieren, die in der Lage wären, durch versprühte Chemikalien sich bedrohlich formierende Wolkengebilde aufzulösen. Sie stieg darauf ein und setzte die Idee ins Absurde fort. Wir hatten denselben Humor.
Der Tag ihrer Feier rückte immer näher, und es zeichnete sich ein großzügiges Schönwetterloch ab. Dann war es soweit, das Wetter hielt, und die doppelte Geburtstagsfeier wurde ein voller Erfolg. Auch ihr guter Freund muss zufrieden gewesen sein. Ich selbst wurde nicht eingeladen. Es war ihr Wetter, das gehalten hat. Ich hätte mir gewünscht, eingeladen worden zu sein, um absagen zu können – eine prägnantere Definition von Narzissmus kommt mir gerade nicht in den Sinn.
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Einmal – in einem anderen Leben –, warf mir jemand vor, ich würde an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, samt Link mit weiterführenden Informationen. Dass ich nicht in der Lage sein soll, Empathie zu empfinden, warf ein völlig neues Licht auf meine bisherigen Verbindungen zu Menschen und die künstlerische Arbeit, bei der es nicht zuletzt darum geht, sich in andere hineinzuversetzen und ihr Innenleben zu beschreiben. Ich bedankte mich für den Hinweis und versprach, dem nachzugehen. Damit endete unsere Kommunikation.
In der Bücherei stellte ich mich ehrfürchtig vor das dickste Psychologie-Lehrbuch, das ich finden konnte. Ich zog es aus dem Regal, schleppte es an einen Sitzplatz, schlug es an der richtigen Stelle auf und las darin über mich: Ich habe ein übertriebenes Gefühl meiner eigenen Bedeutung. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Erfolgs- und Machtphantasien, und habe ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung. Menschen wie ich haben häufig Probleme mit Beziehungen. Wir nehmen vieles für uns selbst in Anspruch, ohne im Gegenzug Verpflichtungen nachzukommen, nutzen andere für unsere Zwecke aus und haben Schwierigkeiten damit, die Empfindungen anderer nachzuvollziehen. So muss es sein, dachte ich und beschloss, in Zukunft mein Bestes zu geben, diesem Bild zu entsprechen. Die klare Sprache der Wissenschaft gab mir dabei einen Halt, von dem ich heute noch nicht verstehe, wie es ihn geben kann. Wenn wir kentern, rettet jede Boje.
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Setzt Regen ein, dann gibt es nur noch drei Arten von Menschen: Jene, die sich in einem Hauseingang oder an einem Gebäuderand unterstellen und abwarten, wie die Geschichte weitergeht; jene, die all ihren Mut zusammennehmen und nackt auf der Frontlinie tanzen, dabei irre lachen und trotzdem nass werden; zu guter Letzt jene, die mit einem Schirm bewaffnet – ganz Contenance und liebevolle Schadenfreude – unbehelligt ihren Tag fortsetzen, als wären Dinge möglich. Ihr seid verschwunden, die Straße gehört jetzt uns. Wir sind die Gewitterlinge.

Vielleicht sollte langsam ein Umdenken stattfinden: Brillenpflicht statt Maskenpflicht.

Ein in der Jackeninnentasche abgestumpfter Bleistift schreibt, dass es ihn gibt.

Eine Art Sommer.