Auf dem Weg ins Büro stehen mir oft die Herzkranken Spalier, die sich vor der kardiologischen Praxis anstellen. Sie halten Abstand zueinander und tragen vorsichtshalber Masken.
Manchmal ist ein Doughnut-Tag, an dem ich mir für die kommende Büroarbeit ein kleines Frühstück hole. Es scheint eine Art Belohnung im Vorhinein zu sein, die ich mir in den kommenden Stunden dann rückwirkend verdienen muss. Manchmal stellt sich im Nachhinein heraus, dass ich nicht so aufmerksam oder gewissenhaft gearbeitet habe, als ich hätte sollen, um mir einen Doughnut verdient gehabt zu haben. Wenn das der Fall ist, lässt sich der Verzehr des Doughnuts leider nicht mehr rückgängig machen. Dafür bin ich umgekehrt manchmal fleißiger, als von mir hätte erwartet werden können, obwohl ich keine vorausgreifende Belohnung bekommen habe. Unterm Strich gleicht es sich also wieder aus. Ich glaube, das nennt man statistische Einebnung, bin mir aber nicht sicher.
Geisterspiele sind nicht nötig. Fußball ist auch so schon langweilig genug.
Als Hilfsbuchhalter stolpere ich oft über unterhaltsame Adressen. In Bremen existiert ein Erbrichterweg. Wahrscheinlich gibt es den Erb-Richter als Berufsbezeichnung, ich aber lese die Frage: Erbricht er? In Delmenhorst gibt es eine Düsternortstraße. Es klingt erfunden, ist aber wahr. Wer dort lebt, hat sicher ein sehr sonniges Gemüt.
Die lustigsten Adressen findet man in der Schweiz. Hier prüfe ich oft nach, ob sich jemand bei seinem Eintrag verschrieben hat, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es sich um eine tatsächlich existierende Anschrift handelt. Eine Gemeinde im Kanton Schaffhausen heißt Neuhausen am Rheinfall – natürlich mit h, aber trotzdem. Auch Dicken bei Degersheim (Gemeinde Mogelsberg) oder Bitsch im Wallis sind schön. Die Schweizer haben Humor.
Manchmal beim Hilfsbuchhalten schmunzle ich über den Einfallsreichtum der Ortsnamenerfinder, selten lache ich sogar laut auf. So findet eben jeder in der Arbeit seine kleinen Momente einfachen Glücks, auch wenn man sie nicht immer mit jemandem teilen kann.
Eine Dokumentation über Corona-Geisterstädte, also Metropolen im Lockdown. Faszinierende Aufnahmen von menschenleeren Straßen und Plätzen, in Venedig auch von Brücken und Kanälen. Klares Wasser und Laute von Tieren, weder Rollkofferklackern noch Verkehrslärm. Niemand, nicht einmal die Vorväter, haben diese Orte jemals so gesehen. Der Virus hat einem überhitzten Wahnsinn den Stecker gezogen. Es war alles zu schnell und zu viel und zu laut. Die Welt holt Luft. Der Massentourismus hat sich selbst in die Sackgasse manövriert. Bald, wenn sich der Staub gelegt haben wird, setzt er sich ganz langsam und behutsam neu zusammen. Jeder wird wieder als Gast andere Orte besuchen, als Mensch, und nicht mehr als Tourist. Es werden weniger sein, die es dafür wirklich meinen. Es wird einen Grund geben, sich auf die Reise zu machen. Eine Zeitlang jedenfalls, bis wir es wieder vergessen. Die Bilder leerer Städte machen ruhig, beinah schläfrig. An einem Ort ohne Menschen herrscht ausnahmslos Frieden. Es wird helfen, sich hin und wieder daran zu erinnern. Das Blinzeln Londons, das Gähnen New Yorks.
Anleitung für Nachgeborene: Im Fastfoodrestaurant wird am Touchscreen eines Automaten bestellt. Man tapst mit den Fingern auf einem Bildschirm herum, den zuvor unzählige andere Leute berührt haben. Später wird man Burger und Pommes Frites essen, ohne sich dazwischen die Hände gewaschen zu haben.
Nach dem Bestellvorgang bezahlt man an der sogenannten Kioskkassa. Dort wird einem ein Bon mit seiner Abholnummer ausgehändigt. Für die Wartenden steht eine auf Hüfthöhe angebrachte Polster-Schräge zur Verfügung, ein mit massiven Eisenstangen im Restaurantboden fixierter Polsterschwung. Ich nenne es das Lümmel-Möbel. Hier lehnen die Wartenden vereint in konzentrierter Langeweile und freuen sich aufs Erscheinen ihrer Nummer am über den Köpfen montierten Bildschirm. Das Lümmeln passt zur Laschheit der angebotenen Speisen.
So grundlos zornig, dass man versehentlich mit der Kaffeetasse den Rand der Porzellanschüssel abschlägt, die zum Abtropfen neben der Abwasch liegt.
Jemand am Handy starrt verbissen in sich selbst.
Einmal rief mich mein falscher Neffe im Volksschulalter an. Er benutzte das Telefon seiner Mutter. Ich erklärte ihm, es sei um mich herum gerade sehr laut, denn ich war unterwegs, gleich müsse ich in die U-Bahn einsteigen, ich wolle nämlich in die große Bücherei. Warum?, fragte er. Weil ich mir neue Bücher ausborgen will, sagte ich. Warum?, fragte er. Weil ich die alten schon ausgelesen habe, sagte ich. Mein Neffe war hörbar verwirrt. Tust du die nicht selber erfinden und so?, fragte er. Schon, sagte ich, aber ich mag ja auch Bücher von anderen lesen, das macht mir Freude. Und mein Neffe sagte: Nein.
Jemand ist als Mensch gut sortiert.
Gehen in der Sonne leuchtet ein.
Die Krückenfrau sitzt wieder an ihrem Platz in der Bäckerei und trinkt einen Kaffee.