Kategorien
Allgemein

66 Donnerstag, 21.05.2020

Die Feiertagsroute des Busses lässt meine Station aus, was mich einigermaßen verwirrt. Ich komme dann trotzdem irgendwo an.

Der Klingelton einer schwerhörigen Alten ist so laut, dass selbst sie ihn wahrnehmen kann. Eine halbe Minute kramt sie in ihrer Handtasche nach dem Gerät (der Anrufer weiß bestimmt, dass es bei ihr immer ein bisschen länger dauert, weshalb er es geduldig läuten lässt). Die Alte hebt ab und spricht so, dass sie sich selbst gut versteht, auch der Lautsprecher ist am Anschlag. Man kann beide Seiten des Gesprächs mithören. Teilweise ist es recht interessant.

Ich erinnere mich, wie uns vor Wochen jene Verhaltensweisen nähergebracht wurden, die eine Verschärfung der Pandemie verhindern sollten: Regelmäßiges Händewaschen und Menschenmassen meiden. So verhalte ich mich seit jeher, dachte ich, und mir wurde bewusst, dass meine Lebensführung immer darauf abgezielt hat, das Ausbreiten einer Infektionskrankheit zu verhindern.

Für Alleinwohner gibt es die Option einer Mietkatze oder anderer Haustiere, die man sich gegen Entrichtung einer fairen Nutzungsgebühr ausleiht, um für einen begrenzten Zeitraum etwas zum Streicheln zu haben.

Gegenüber den Mitmenschen herrscht einerseits eine tiefe Verbundenheit und andererseits der immerwährende Verdacht. In diesem Zwiespalt gilt es sich wohnlich einzurichten. Wie sehr wir gemerkt haben, ohne die Nähe zu den Artgenossen zu verkümmern, so bleibt doch die Gewissheit, einander zur Gefahr geworden zu sein, zum unverhofften Überträger einer Krankheit.

Sich an der aufrechten Haltung anderer aufrichten.

Eine frühe, noch nicht verwertete und ins Reine geschriebene Notiz: Kaum etwas schweißt mehr zusammen als der gemeinsame – bestenfalls äußere – Feind. Die Menschheit rückt näher ans Feuer, weil es kleiner geworden ist. Einer wärmt sich am anderen, alles wird sich finden.
(Diese leichtfertig hingedachten Sätze erscheinen mir reichlich naiv. Ich hätte jeden Satz mit einem Fragezeichen abschließen sollen. Immer wieder bin ich über den Eintrag gestolpert und daran hängengeblieben, doch war es mir zu peinlich, ihn kommentarlos ins Narrativ zu übernehmen. Ich hätte es bleiben lassen sollen. Wenn ich ihn löschen wollte, kam mir etwas in die Quere, vielleicht ein schlechtes Gewissen, nicht auch manchmal an die einfache Antwort zu glauben. Jetzt bin ich es wenigstens los.)

Es gibt sie, die moralischen Analphabeten.

Beziehungen werden gefestigt, neue Bande geknüpft. Ein paar Jahrzehnte später: Corona-Veteranen, die gemeinsam etwas durchgestanden haben, trinken in geselliger Runde. Beduselt dozierend über die seltsamen Zeiten. Mit erhobenem Zeigefinger: Wisst ihr noch, damals …? Klar, wir waren ja dabei.

Aus heiterem Himmel trifft mich die Erkenntnis, dass der Stadtpark eine Hundeverbotszone ist. Jedenfalls entdecke ich plötzlich die entsprechenden Schilder. Jetzt frage ich mich, ob er es immer schon war, und wie es mir all die Jahre nur entgehen konnte. Die Hundehalter gehen doch seit jeher mit ihren Tieren seelenruhig über die Wege, an den Wiesen vorbei und um den seichten Teich herum. Da und dort sieht man wen eine Faust warmer Scheiße aufklauben. War es etwa nie erlaubt?
Ich überprüfe die Verwitterung der Schilder, sie wirken recht neu. Vielleicht ist die Umstellung noch nicht so lange her. Geschah es über Nacht? Da sind festgetrocknete Spinnwebreste, auch Rostflecken und Randabsplitterung des Blechs. Ich zweifle an der eigenen Wahrnehmung und gelobe, meiner Umwelt in Zukunft mit größerer Aufmerksamkeit zu begegnen – allein schon aus Gründen der Wertschätzung. Wir sehen oft nur, was uns betrifft, den Rest blenden wir aus.

Das eingefallene Dichtergesicht beleuchtet zu ungesunder, beinah transsilvanischer Blässe.

In einem knappen Satz etwas sehr Langwieriges zusammenfassen: Jetzt passieren schlimme Dinge. (Amüsante Regieanweisung in einem Drehbuch oder Theaterstück.)

Wo man nur hinschaut, offenbart sich die Möglichkeit einer lohnenswerten Analyse.

Zum unbeschwerten Vogelruf: Jetzt reicht es aber mit dem Überspielen!

Deutsche Band mit Feuershow: Die Marschrichtung der Krachmusik zelebriert eine Präzision der Gewalt. (Aufgehobenheitsgefühl im verschwitzten Kollektiv, Headbang-Haar im Mitnick-Takt. Jeder Schlag ein Treffer; jeder Treffer sitzt. Die Kraft ist breit und kontrolliert / Behaglich behäbig, bedrohlich schwer / Wie Musik einfach nur funktioniert.)

Der Podcast This American Life hat mir mehrmals das Leben gerettet. Ira Glass ist Gott.

Es besteht zu jemandem eine gefühlte Verwandtschaft.

Warm wie Schlaf.

Manche Geschichten gehen nicht aus.