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54 Samstag, 09.05.2020

Wir sagen alle das Gleiche. Wir sehen alle das Gleiche. Und wir hören alle das Gleiche. Wir fühlen das Gleiche. Wir lesen das Gleiche und wissen das Gleiche. Deshalb schreiben wir auch alle das Gleiche. Und langsam sagen wir alle, dass wir alle das Gleiche sagen.

Sich selbst entschleunigen zum Versuch eines Gedichts.

Man denkt, klein schreiben sei leise, dabei ist langsam schreiben leise.

Ich gelobe feierlich: Niemals, kein einziges Mal habe ich – okay, außer dieses eine Mal …

Ein verstimmter Flügel mit tröstendem Klang. (Etwas ist nach außen hin makellos, mit einnehmender Oberfläche, und hat ein defektes Innenleben, das genau so sein muss.)

In Kirchen: Das dumpfe Leiden der Orgel.

Die befriedigende Gänsehaut, wenn ein Musikstück harmonisch aufgeht, sich verschwenderisch öffnet und aufschwingt in einen gewagten Raum, wo die Töne einen fremden Ort bekommen und neu stattfinden dürfen. Man lauscht ins Volle, als befinde man sich im Inneren des Geräuschs. Wie der Moment anhält, sich verfindet und versteht, und bleibt und bleibt und bleibt, und sich sorglos davonstiehlt, und dann ist er vorbei, als ob nie etwas war, und dann ist er so sehr zu Ende, dass es ihn niemals gegeben haben wird. Das war der Moment in der Musik, und keiner hat ihn je erlebt.

Ein unbeabsichtigter Reim im ansonsten rhythmisch neutralen Prosafluss – da hat das Buch Schluckauf.

Verstehen Spinnen, dass man sie streichelt? (In der Lage sein, gestreichelt zu werden – auch bei Menschen.)

Hummeln sind eine ganz friedliche Gefahr.

Eine Ware müsste man sein! (Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit als Person wird auf Dauer langweilig.)

Also, denke ich den Verschreckten, an eurer Stelle würde ich mir die Angst ordentlich einteilen, schließlich brauchen wir sie noch länger. (Andererseits wird das Angstgefäß immer wieder aufs Neue befüllt.) Also, denke ich den Ministern, an eurer Stelle würde ich mir die Entscheidungsfreudigkeit aufsparen für den Weiterverlauf der Ereignisse. Also, denke ich den Volksbespaßern, hebt euch eure Durchhalteparolen noch ein bisschen auf für später, wenn wir sie dann wirklich brauchen werden. Es flattern die Nerven, denke ich mir, sie flattern bei allen, und du flatterst mit. Die Ungeduld wächst. Im Warten worauf?

Wie ungehört verhallen die Rufe nach einer Versachlichung der Debatte.

Die Freude, etwas Herzeigenswertes zu entdecken als reine Vorfreude, denjenigen darauf hinzuweisen, der es einordnen, wertschätzen und gebührend feiern kann.

Die farbliche Entsprechung eines Geräusches riechen.

Der satte Mann: Ganz eingesunken ins eigene Sitzen.

Das soll sie also sein, die unsere Generation prägende Erfahrung? Das ist er jetzt, der alles verändernde Einschnitt, der einen Wandel ankündigt? Das ist es wirklich, das dramatische Erlebnis, in dem wir uns selbst erkennen? Das wird sie dann gewesen sein, die große Katastrophe, die alles in ein neues Licht rückt, nach der nichts mehr so ist wie es vorher war? Naja, derweil fällt sie eher mickrig aus. Bodenleisten kann man auch wieder kaufen, und Handyhüllen eh immer schon. Essen hat auch gepasst. Zocken mit Pizza. Geh bitte.

Name für einen Alkoholiker-Detektiv: Ulrich Bierbart.

Alkoholfreies Bier und koffeinfreien Kaffee braucht es nicht zu geben.

Ich sah eine Frau ohne Hals. Sie war ganz pragmatisch und hat unspektakulär auf die U-Bahn gewartet. Sie ist einfach dagestanden – das hat mich verunsichert.

Sich ernähren von leergeschobener, trockengefilterter Luftschachtluft.

Jeder kann spüren, wie er selbst ungefähr dreinschaut. Manchmal bemerke ich in meinem Gesicht jenen blasierten Blick, für den ich andere so freimütig tadle.

Langsam keimt in mir der Verdacht, irgendwelche Scherzbolde erstellen Fake-Profile und erfinden Spam, bloß um ihn mir schicken zu können. Ein samstägliches Beispiel, unverfälscht:
Entschuldigen Sie, dass ich Sie so kontaktiere. Ich bin verzweifelt und mein Herz blutet, wenn ich Ihnen diese Nachricht übergebe, von der ich hoffe, dass sie Ihre Aufmerksamkeit erregt, obwohl wir uns nicht kennen. Dies verhindert dies nicht Geste meinerseits. Mein Name ist Frau (Name eingefügt), geboren am (Datum Mitte der 1940er). Ich teile diese Informationen auf diese Weise, weil ich einer Person, die an GOTT glaubt, mein Glück schenken möchte.
Anscheinend leide ich an einem Hirntumor, der sich in der Endphase befindet. Mein behandelnder Arzt hat mir mitgeteilt, dass meine Tage aufgrund meines Gesundheitszustands gezählt werden, verschlechtert sich. Ich habe vor, alle meine Waren zu spenden, da ich einen Betrag von 380.000 Euro auf meinem Konto habe und diesen nicht auf der Bank belassen möchte. Mein Familienstand ist so, dass ich keinen Ehemann und noch weniger Kinder habe, denen ich dieses Erbe hinterlassen könnte, und ich leide derzeit an Hirntumor, so dass ich zum sicheren Tod verurteilt bin. dass ich auf gnädige Weise und in der Sorge, den benachteiligten Kindern zu helfen, die Sie diesem besagten Erbe geben, um diese Arbeit der Nächstenliebe auszuführen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, kontaktieren Sie mich bitte per E-Mail, um weitere Gründe für meine Spende zu erhalten. E-Mail: (Adresse eingefügt)
Ich liebe dich

Die beneidenswert unbefangenen Radausflüge des Immunschwachen.

Die Sonne ist vor allem eine kostenlose Heizung. (Das habe ich mir schon öfter gedacht und mich jedes Mal gefreut, als alter Knauserich.)

Ach, würde sich doch endlich wieder eine Lese-Ruhe einstellen, wenigstens vorübergehend. Ich könnte den Tag verbringen und es würde Zeit vergehen. Das wäre einfacher für alle Beteiligten.

Die Menschen und ihre Geschichten sind immer anders, doch im Hintergrund wirkt immer dieselbe Ratlosigkeit – genährt vom gleichen, tief ankernden Wunsch. (Für jeden dürftigen Kalenderspruch sich als Ausgleich eine sommerliche Verstörung ausdenken, die einen zögerlich Nähergetretenen wieder abstößt und vertreibt. So bleibt man einander in unerreichbarer Nähe.)

Ich hätte Lust, es immer schon gewusst zu haben.

Unerbittlicher Begriff: Superspreader-Ereignis

Eine Bekannte erzählte einmal von einer zypriotischen Kakao-Meditation, bei der sich mehrere Dutzend Menschen in einem Raum versammeln, um jeweils einen Becher heißes Gebräu zu sich zu nehmen, das eine berauschende Wirkung hat. Nun verharrt man stundenlang mit geschlossenen Augen, dabei brechen Dinge aus einem hervor, die man für verdrängt oder vergessen hielt. Manche beginnen zu weinen und zu schreien. Diese Ausbrüche zuzulassen, noch dazu im Beisein Fremder, emfpindet man als heilsame Entgrenzung. Es sich vorstellen – betretenes Schlucken.

Ein Hilfsbuchhalter müsste man sein. (Neuerdings bin ich es.)

Ein Hund umspielt sich selbst.

– Ich habe uns beide zusammengehofft.
– Immer so ein Geträum!

Wie zuversichtlich stimmt mich das Leben dieses anderen, der ich hätte sein können.

Wir lösen uns in Wohlgefallen auf.