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52 Donnerstag, 07.05.2020

Ein Mädchen auf der Straße brüllt Halleluja. Erst einmal laut, dann ein zweites Mal noch lauter. Dann in Abständen weitere Male, immer beleidigter, bis irgendjemand es hört. Mit der Zeit klingt es wie eine Frage. Wen fordert es heraus?

Die Gelotologie ist die Wissenschaft der Auswirkungen des Lachens.

Am Karlsplatz ein Vater zu seinem kleinen Sohn, der mit ausgestrecktem Arm einen Mistkübel begrüßt: Nein, da nehmen wir jetzt nix mit, daheim haben wir eh genug.

Er bemerkte an sich, wie er absichtlich ganz knapp und wortkarg kommunizierte, und es so insgeheim auf Missverständnisse anlegte, wie er zum Beispiel Abkürzungen benutzte, die uneindeutig waren. Auf eine verquere Weise freute er sich schon richtig darauf, zur Rede gestellt zu werden und etwas entgegnen zu können; diese möglichst schroffen Entgegnungen suchte er gern und fand sie leicht.
Die Streitlust glomm in ihm als nie erlöschendes Glutnest. In letzter Zeit brauchte er es, sich mit Leuten zu necken, wahrscheinlich, weil er gut darin war, und man sich im Anwenden eines Talents aufgehoben fühlen konnte, auch beschleunigte es angenehm seinen Herzschlag, brachte ihn auf Touren, was das morgendliche Frösteln vertrieb.
Er wartete auf den Vorwurf und hatte sich dagegen bereits in Stellung gebracht. Er würde eine Ungerechtigkeit aufzeigen, sich aufschwingen zum Verfechter einer Mäßigung, und darin würde er für alle sprechen, denen Gleiches wiederfuhr, dachte er, und eines Tages würde er ein selbstloser Aufwiegler und Volksbefreier sein, mit dem zu rechnen war. So glomm es in ihm.

Vieles ist in den seltsamen Zeiten anders geworden, manches gleich geblieben. Die Menschen ändern sich nicht. Keiner schlüpft in eine neue Rolle oder wechselt plötzlich die Spur. Niemand zeigt – wie es so schön heißt – sein wahres Gesicht, jeder behält einfach das, welches er immer schon besaß, es fällt nur ein bisschen mehr auf.
Wer vorher bereits kein Gemeinschaftsgefühl hatte, der wird es jetzt nicht plötzlich an sich entdecken. Wer vorher schon im eigenen Haushalt oder als Gast zu Besuch keinen Finger gerührt hat, der wird nicht unverhofft damit anfangen. Wer immer schon ein egoistisches Arschloch war, das sich einen Dreck um andere geschert hat, der wird genau das auch weiterhin bleiben, und genau so: ohne kollektives Bewusstsein, ohne einen Funken Aufopferungswillen, ohne Fingerspitzengefühl und moralischen Sensor. Wer seit jeher der Meinung ist, zu kurz gekommen zu sein, wer findet, dass die Gesellschaft ihm etwas schulde, der wird genau das weiterhin behaupten und Forderungen an die Welt stellen. Wer noch nie für Schwächere und Benachteiligte oder eine Sache eingestanden ist, der wird das auch in Zukunft nicht tun. Wir sich ausschließlich mit dem Absichern der eigenen Existenz und dem Aufrechterhalten des eigenen Wohlergehens beschäftigt, setzt es fort; wenn es sein muss, auch auf Kosten der Gemeinschaft, in die man nicht bereit wäre, nach seinen Möglichkeiten einzuzahlen.
Für jeden, der sich weigert, dem anderen die Hand auszustrecken, braucht es einen, der beide Hände ausstreckt. Manche singen nur das eigene Lied. Sie müssen, obwohl sie noch am Leben sind, für uns gestorben sein.

Gesunder Hass ist unverzichtbar für ein ausgewogenes Leben.

Als würden die Leute in der U-Bahn alle gelangweilt ins Handy hineinsterben.

Kann man jemandem etwas Schöneres entgegenbringen als fasziniertes Unverständnis?

Der Stammfriseur des erstgereihten Basketballteams hält eine eilig einberufene Pressekonferenz, um der gespannt wartenden Weltöffentlichkeit zu erklären, dass er es mit sofortiger Wirkung ablehne, bestimmten von den Sportlern geäußerten Frisur-Wünschen nachzukommen. Auf die Leinwand wird ein aktuelles Mannschaftsbild projiziert. Ein Assistent des Direktoriums lässt einen nervösen Laserpointerpunkt von Spielerkopf zu Spielerkopf irren. Der Friseur beschreibt jeweils, was er an Schnitten und Stylings noch umzusetzen bereit sei. Die angereisten Journalisten notieren eifrig mit, Telefone werden gezückt und Schlagzeilen in die Laptop-Tastaturen geklopft. Amerika bebt. Es geht spürbar ein Ruck durch die Sportwelt.

Halbschlafträume sind am schönsten, weil man eine Zwischenwelt bewohnt, und der noch wache Teil des Bewusstseins den bereits weggedösten teilhabend mitentziffern kann.

Der große Virologe attestiert den fähigen Wissenschaftlern ein Bauchgefühl für Daten.

Es braucht nicht alles etwas anderes zu heißen.

Und so werden wir trinken aus dem schläfrigen Fluss.