Südamerika
In Argentinien fordert man von ausländischen Gläubigern weitreichende Zugeständnisse, laut einem Umstrukturierungsplan sollen Zinszahlungen bis ins Jahr 2022 komplett ausgesetzt werden, Einsparungen geschehen auch durch einen Schuldenschnitt im Volumen von 3,6 Milliarden Dollar.
Auf den Falklandinseln, die seit 1833 unter britischer Verwaltung stehen, dürfen die Bewohner trotz schwelendem Hoheitskonflikt damit rechnen, von Argentinien mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt zu werden, auch können Patienten zur Behandlung ausgeflogen werden.
In Chile könnte sich die Pandemie als Brandbeschleuniger in der Suche nach neuen und vielleicht gar wirkungsvolleren Protestformen gegen das neoliberale Wirtschaftssystem erweisen, vor dem Ausbruch lag die Zustimmungsrate des Präsidenten und seiner Regierung bei rund sechs Prozent.
In Uruguay kreisen über den Stadtstränden Helikopter, dafür kreisen die Schalen mit Mate-Tee zwischen den Leuten nicht mehr, ein Expeditionsschiff darf nach zwei Wochen Irrfahrt vor der Küste in Montevideo anlegen, australische und neuseeländische Passagiere werden in einem medizinischen Transportflugzeug in ihre Heimatländer ausgeflogen.
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In Paraguay ist man seuchenerprobt, erst im Februar gab es aufgrund der hohen Fallzahlen von Dengue-Fieber einen nationalen Gesundheitsnotstand, mehrere Gewerkschaften legen einen Gesetzesentwurf zum Schutz von Arbeitsplätzen vor, gefordert werden Garantien im Fall von Unternehmensschließung oder Produktionseinstellung.
In Bolivien wird die Gruppe der Indigenen, welche knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht, nach eigener Ansicht zu wenig berücksichtig, der Verwaltungsrat eines Nationalparks sowie weitere Volks- und Gemeindevertreter wenden sich mit Forderungen an die rechtskonservative Interimspräsidentin, die entgegen ursprünglicher Beteuerungen, lediglich Neuwahlen organisieren zu wollen, bei diesen nun doch auch selbst antreten wird.
In Brasilien wettert vor dem Hauptquartier der Armee ein hustender Staatschef auf einer Demonstration gegen die Ausgangsbeschränkungen, Menschen trommeln an offenen Fenstern mit Töpfen und Pfannen.
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In Französisch-Guayana wird der Weltraumbahnhof Kourou nach einem bisher erfolgreichen Jahr mit drei geglückten Raketenstarts und fünf ins All geschossenen Satelliten bis auf Weiteres stillgelegt, die Einrichtung stellt einen der wichtigsten Eckpfeiler der örtlichen Wirtschaft dar, Äquatornähe ist als Standort vorteilhaft, da Raketen so durch die Erdrotation bereits die auf der Erdoberfläche maximal vermittelte Grundgeschwindigkeit erhalten und weniger beschleunigen müssen, was Treibstoffkosten senkt.
In Surinam sind die Straßen der Hauptstadt Paramaribo wie leergefegt, Geldautomaten spucken nichts mehr aus, die Landesbank stellt ihren Betrieb ein, Supermärkte halten aus Angst vor panischen Kunden geschlossen, die auf Bargeld fußende Ökonomie kommt weitgehend zum Erliegen, der Präsident und frühere Militärdiktator bereitet sich auf seine Wiederwahl im Mai vor, obwohl er in den Niederlanden wegen Drogenhandel und Mord verurteilt wurde, sein Sohn sitzt in den USA wegen Drogen- und Terrorismusdelikten eine sechzehnjährige Haftstrafe ab.
In Guyana gibt es Wochen nach der Parlamentswahl immer noch kein offizielles Ergebnis, ein Urnengang im zweitärmsten Land Südamerikas bestimmt auch den heiklen Umgang mit neu entdeckten riesigen Ölvorkommen, laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds wird das Land in wenigen Jahren die weltweit höchste Rohölproduktion pro Kopf aufweisen, Corona schrenkt die Handlungsfähigkeit der Gerichte ein, die Bekanntgabe gültiger Wahlergebnisse wird sich weiter verzögern.
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In Venezuela war die Lage in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht auch vor Ausbrechen der Pandemie bereits prekär, nun droht ein Benzinmangel das ölreichste Land der Erde zusätzlich zu destabilisieren.
Auf Bonaire in der Niederländischen Karibik halten der Lt. Governor und eine Ärztin für öffentliche Gesundheit eine Pressekonferenz, bei der sie über den ersten Corona-Patienten informieren und Einblick in die Fallgeschichte geben, die betreffende Person sei mehrmals ergebnisoffen getestet worden, erst später habe ein eindeutig positiver Test vorgelegen, man ruft die etwas über achtzehn tausend Einwohner zu Mithilfe und Zusammenhalt auf, so werde man die Krise gemeinsam überstehen.
Auf Curaçao arbeitet das Tourist Board eng mit dem Gesundheitsministerium, dem Ministerium für Umwelt und Naturschutz, der Zivilluftfahrtbehörde und anderen Regierungsbehörden zusammen, um neue Entwicklungen zu beobachten und die Handhabung der Situation ständig entsprechend anzupassen, es ist aktiv daran beteiligt, dass jeder die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen gemäß der Weltgesundheitsorganisation befolgt, die Organisation verpflichtet sich darüber hinaus, die offene Kommunikation mit Einwohnern und Besuchern aufrechtzuerhalten, um sicherzustellen, dass diese stets die aktuellsten Informationen erhalten, gestrandete Passagiere werden auf die Verlängerung der Verschlusszeiten des Internationalen Flughafens hingewiesen und aufgefordert, sich bei der zuständigen Botschaft oder dem Konsulat zu melden und das bereitgestellte Onlineformular gewissenhaft und wahrheitsgemäß auszufüllen, Seevekehr ist bis auf wenige Ausnahmen wie Transport von Kraftstoff oder Reparaturen eingestellt.
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Auf Aruba handelt es sich bei den meisten Sehenswürdigkeiten um malerische Strände, die auf Reiseplattformen mit Begriffen wie Seebad, Schnorcheln, Wasserpark, Abenteuer oder Liebesbeziehung verschlagwortet sind, derzeit allesamt verwaist, seit Anfang März werden Fallzahlen teils mehrmals täglich publiziert und akkurat aufgeschlüsselt.
In Peru verlassen die Campesinos, Menschen vom Land, die Großstädte und drängen in ihre Heimatregionen, ein paar hundert schließen sich zu einem Treck zusammen, doch Anwohner blockieren die Straße und lassen sie aus Sorge vor erhöhter Ansteckungsgefahr nicht passieren, nach längerem Tauziehen werden die unerwünschten Heimkehrer in ein Stadion verfrachtet, dort steigen sie in eilig organisierte Busse.
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In Ecuador wird die Bevölkerung über das Ausmaß der Katastrophe lange im Unklaren gelassen, die vom Gesundheitsministerium präsentierten offiziellen Totenzahlen erscheinen vielen lächerlich, im Corona-Hotspot Guayaquil tragen Mitglieder einer Sondereinheit der Polizei unterstützt vom Militär hunderte Leichen aus den Häusern.
In Kolumbien kehren sich Migrationsströme um, denn jene, die hierher kamen auf der Suche nach Arbeit, finden jetzt keine mehr, trotz Reiseverboten und Ausgangssperren bilden sich auf den Landstraßen dichte Marschkolonnen, ganze Familien sind zu Fuß durch die Anden unterwegs als südamerikanische Elendsmärsche, Busse fahren keine mehr und wären ohnehin zu teuer, Uniformierte desinfizieren mit Sprühschlauch das wartende Gepäck.
Auf Südgeorgien gibt es sechs ehemalige Walverarbeitungsstationen und zahlreiche Buchten, Ziel von Anlandungen sind Brutstätten der Königspinguine oder anderer Arten, seit dem achtzehnten Jahrhundert dezimierten eingeschleppte Ratten die Brutkolonien einzigartiger Vogelbestände, vor etwa zwei Jahren wurden sie erfolgreich ausgerottet, jenes Expeditionsschiff, das später im uruguayischen Montevideo anlegen sollte, hätte dort Halt machen wollen, die Südlichen Sandwichinseln gelten als unbewohnt.