So windig, dass man die Arme ausstrecken und mitfliegen mag.
Lockenlange Windfrisuren.
Gestern war ein fauler Sonntagsmontag.
Dienstag und Mittwoch sind die unscheinbarsten Tage – manchmal wachsen sie über sich hinaus.
Und plötzlich heult der Vollmond zurück.
Es heißt, die alten Griechen nahmen auf Schiffsreisen Wein mit, der so dickflüssig war, dass er eine beinah sirupartige Konsistenz hatte. Dieser Wein wurde vor dem Verzehr zunächst großzügig mit Wasser verdünnt. So, denke ich, könnte Geschriebenes sein: Die Essenz von etwas; nicht ausformuliert und ausjudiziert bis hinein in die letzte zarte Verästelung eines Gedankens. Beim Lesen dann kommt Luft dazu, wird das Herangeschiffte in seine endgültige Form befreit. Nötig ist die stille Beigabe des Lesers. So erst wird das Geschriebene etwas Bekömmliches, möglichst Wohlschmeckendes.
Bei der Endstation Simmering in die U-Bahn nach Simmering einsteigen – so kommt man über den Rand der Welt. (Die Erde ist bekanntlich flach. Oder sind das haltlose Verschwörungstheorien, die frauenlose Männer in den Kellern ihrer Elternhäuser züchten?)
Vor dem späten Supermarkt.
Kind: Das dürfen wir nicht.
Vater: Wir müssen aber!
Unhandliches Maskenrascheln.
Früher war ich immer ganz gern einkaufen. Doch jetzt beschlägt dank der Maske meine Brille. Ich sehe nichts und tüftle mich unbeholfen von Regal zu Regal. Im Klopapier erkenne ich die Küchenrollen. Es wäre mir peinlich, jemanden um Hilfe zu bitten wie ein alter Opa. Wo sind die Essiggurken? Ist das der günstige Wein? Ich trete eigenartig nahe an die Dinge heran, halte den Kopf schräg, um durch den Sehschlitz zwischen Maskenoberseite und Brillenunterseite etwas zu erkennen. Die Leute würden mir auch ohne Abstandsregel ausweichen. Einkäufe sind jetzt etwas, das ich möglichst schnell hinter mich bringen möchte. Bereits im Hineinkommen bin ich restlos genervt. Ich gebe mir zwei oder drei Minuten, nach denen ich den Supermarkt schleunigst wieder verlassen möchte. Fehlt etwas auf der Liste, dann lasse ich es gut sein und hebe es mir fürs nächste Mal auf. Orangensaft ist eigentlich nicht wichtig.
*
An der Kassa fragt mich ein junger Mann, ob er rasch vor darf. Ich mustere ihn: In den Armen hat er etwa sieben oder acht Produkte, was nur unwesentlich mehr ist als ich selbst gerade aufs Kassaband lege. Und es ist keine schnelle Jause fürs Büro, sondern es sind langwierige Dinge wie Suppengrün und Camembert. Tut mir Leid, sage ich, aber ich habe es gerade ziemlich eilig. Er schnaubt beleidigt auf. Allein seine Frage finde ich unverschämt, wo er doch eben nicht nur ein oder zwei Sachen hat, mit denen ich ihn unversehens vorgelassen hätte. Abgesehen davon fragt man an der Kassa grundsätzlich nicht, ob man kurz vor darf – weil man damit das Gegenüber in die Verlegenheit bringt, aus Höflichkeit zustimmen zu müssen.
Man kann nur vorgelassen werden, es also angeboten bekommen, wenn der Vorgereihte die Diskrepanz zwischen eigener und fremder Produktanzahl bemerkt. Selbst wenn ich mit einem einzigen Apfel hinter jemandem mit riesigem Wochenendeinkauf stünde, so würde mir nicht im Traum einfallen, jemanden durch meine Bitte in Verlegenheit zu bringen. (Im zwischenmenschlichen Verhalten geht es um die Details.) Ist meine Zeit mehr wert als die eines anderes? Bin ich nicht in der Lage, mich eine Minute still mit mir selbst zu beschäftigen? Habe ich etwa kein Hosentaschenbuch dabei? (Wer hat denn jemals kein Buch dabei?)
Der junge Mann ist an der Reihe. Nach dem Bezahlen fällt ihm zur Strafe der Camembert hinunter. Meine Brille ist beschlagen. Mit Maske bin ich mir selbst nicht ganz recht.
Mutter und Tochter sehen aus wie alte und junge Version derselben markanten Frau.
Wenn man gestern eine Stunde zu spät gekommen ist und morgen eine Stunde früher kommen wird, dann war man im Durchschnitt pünktlich.
In der Rückentasche meines Notizbuches befindet sich neben drei Visitenkarten auch ein doppelt zusammengefalteter Notzehner. Ich stelle mir vor, dass er mir eines Tages auf einem turbulenten Heimweg gelegen kommen könnte, um etwas zu essen oder zu trinken, oder für eine sehr kurze nächtliche Taxifahrt. Bisher habe ich ihn noch nie gebraucht. (Nachtrag: Den Notzehner angebrochen und später durch einen Notzwanziger ersetzt.)
Lektorin Merle sagt, ihre Stoffmaske mit hübschen Vögelchen drauf schwitze innen immerhin nicht so. Aber es passiere etwas anderes: Sie habe sich die letzten Wochen bei gezwungenermaßen distanzierten Treffen mit Menschen immer um wenigstens ein freundliches Lächeln bemüht – und dann lächle man beim Apfelmus eine andere Kundin an und die könne es nicht sehen. Wie vermittle man jetzt zwischenmenschliche Wärme? Sie stoße an gewisse Grenzen, was Mimik betreffe.
Wir waren Helden, jetzt sind wir nur Legenden.
Traumbild: Ich stehe in der Küche und bereite einen Hamburger zu. Links neben mir mein Bruder, der das Gleiche tut. Rechts meine Mutter, die irgendetwas räumt. Es ist keine Küche, die jemandem von uns gehört. Ich mache einen klassischen Cheeseburger, mit handgeformtem Patty aus Rindfleisch, die Buns sind gekauft. Ich hebe die Unterseite aus der Pfanne und lege sie auf den Teller. Ein Salatblatt, dünn aufgefächerte Essiggurkenscheiben. Darauf das Fleisch mit einer Lage geschmolzenem Cheddar. (Der Käse ist ungesund gelb und verströmt einen reifen Geruch.) Gebratener Speck und angeschwitzte Zwiebeln. Auf die obere Bunhälfte schmiere ich eine Schicht Senf (originalen Dijon?). Es ist angerichtet, jedoch nicht für mich. Denn mein Bruder und ich, wir nehmen beide am selben Wettbewerb teil.
Im Nebenraum wartet ein Mann. Er sitzt im Holzfällerhemd am Tisch. Ich stelle den Teller vor ihn hin. Der Mann sieht aus wie der Schauspieler Jeff Goldblum, wahrscheinlich weil er es ist. Sein Gesicht ist voller Falten, gerade um die Augen knistert es richtig. Wie krankes Papier, denke ich, und mache mir Sorgen. Ohne Kamera und künstliches Licht sehen die Stars so alt aus. Er lächelt aufmunternd. Er wird unsere Burger bewerten. Ich gehe zurück in die Küche.
*
Mein Bruder werkt. Ich bin siegesgewiss, weil ich weiß, dass sein Faschiertes innen nicht rosa sein wird. Das lässt er nicht zu, denke ich. Aus dem Kühlschrank hole ich mir eine Flasche Bier und mache sie auf. Es ist das falsche Bier, also nehme ich ein anderes, das diesmal meine Mutter aufmacht. Auch damit stimmt etwas nicht: es ist entweder ein Radler, also kein richtiges Bier, oder sie hat es falsch aufgemacht. Das dritte Bier ist in Ordnung. Nach dem Öffnen lese ich das Etikett. Obwohl es ein Radler ist, hat es den gleichen Prozentsatz wie normales Bier. Ich nehme einen Schluck und bin zufrieden. Ich gehe zurück in den anderen Raum.
Jeff Goldblum hat ein paar Bissen genommen. Er scheint zufrieden. Ich weiß über das Fleisch, dass es perfekt ist. Perfekt, denke ich. (Außen sieht man ihm an, dass es innen rosa ist.) Ich warte auf ein Urteil. Goldblum sagt, er habe daran nichts auszusetzen, nicht das Geringste. Er wolle mir nur eine Sache mit auf den Weg geben: Die meisten Leute würden denken, ein Bruger könne gar nicht groß genug sein. Das ist alles, was er sagt. Ich verstehe es sofort: Bei Burgern übertreibt man gern. Je größer, desto besser, denkt man. Ich prüfe meinen Burger und weiß, dass er ein bisschen zu groß ist. Jeff (sind wir per du?) ist hier nur Juror und muss sich seinen Hunger ohnehin aufsparen. Seine Aussage geht mehr ins Allgemeine. Ich nicke ernst. Das ist vollkommen richtig, sage ich, Burger sind oft viel zu groß. Ich bin glücklich. Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so sehr verstanden wie diesen Hinweis von Jeff Goldblum. Und er ist glücklich, dass ich mich davon nicht vor den Kopf gestoßen fühle, sondern es ohne Eingeschnapptheit annehmen kann. Und ich bin glücklich, dass er sieht, wie gut ich mit produktiver Kritik umgehen kann. Ich nehme einen Schluck Bier und erzähle Jeff Goldblum die Geschichte dazu. Er versteht sie. Ich habe den Sieg in der Tasche. Und trotzdem wünsche ich meinem Bruder, dass er gewinnt.
*
Alles am Traum ergibt Sinn: Mein Bruder, da ich ihn manchmal zufällig treffe zu einem distant walk. (Eine steirische Bekannte nennt es neuerdings so.) Meine Mutter, weil ich eine habe. Auch der Burger, weil es bei mir zu Hause neulich einen gab. Nur Jeff Goldblum passt nicht ins Bild. Er hat sich eigenständig und mutwillig in den Traum gecastet. Ich weiß von seiner neuen Serie auf einer kürzlich gestarteten Streaming-Plattform. Doch sie interessiert mich nicht, da sie zu eindimensional lebensbejahend wirkt. Jeff Goldblum ergibt keinen Sinn.
(Beginnt man, seine Traumbilder regelmäßig zu dokumentieren, drängen sie sich einem bald auf. Das habe ich früher schon erlebt.)
Mit sich allein in der Wohnung intuitiv die Klotür zusperren.
Idee für eine Sendung mit versteckter Kamera: Beim Verlassen einer Toilette der Klofrau als Trinkgeld einen Schein hinlegen und sich schamgeknickt entschuldigen, dann flüchten. Sie wird aufspringen und panisch den Tatort absuchen. (Möglichkeit Schweizerhaus.)
Als Kind habe ich mich vor Gleichaltrigen mit geschiedenen Eltern geekelt, als seien zerrüttete Familien eine ansteckende Krankheit, vor der man auf der Hut sein muss. In der Wohnung eines Kindergartenfreundes, dessen Vater ausgezogen war, habe ich mir sehr oft die Hände gewaschen.
Ich muss aufhören, Dinge, die ich eigentlich mir selbst erzählen sollte, anderen zu erzählen.
Die Dose mit gutem Rasierschaum ist aus Triest. Sie reicht seit letzten Sommer. Ich sprühe mir etwas Schaum auf die flache Hand, verteile ihn gleichmäßig in der unteren Gesichtshälfte. Viel Bart ist nicht los. Beim Schütteln klingt die Dose leer. Wie bald wieder Triest?
Der Krieg ist lauter als beschwingte Italiener.
Als Kind wurde ich bei einem Tagesausflug nach Triest beinahe von einem Moped angefahren. Ich kam mit dem Schrecken davon, meine Eltern traf der Schlag. Wortreich prangerten wir das raudihafte italienische Fahrverhalten an. Triest wurde in der Familie zum geflügelten Wort, war bald sprichwörtlich für gefährlichen Verkehr, und ist es noch.
Allen Ernstes glauben, in Italien einen anständigen Burger zu kriegen.
Vor Wochen haben wir gescherzt, wie sehr uns jetzt die Einbrecher Leid tun. Da alle immer zu Hause sind, fällt es ihnen sehr schwer, ihrem finsteren Handwerk nachzugehen. Auch die Umschulung zum Taschendieb ergibt keinen Sinn – es sind ja eben alle zu Hause, weil man nur selten nach draußen gehen sollte. Das Arbeitsmarktservice kann lediglich Kurse anbieten für Online-Betrug. Auch unter den Verbrechern gelingt die längst überfällige Digitalisierung.
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Unheimlich, wie viel Wahrheit in diesem bösen Scherz liegt, denn die Fälle von Internetkriminalität scheinen zu steigen: Webauftritte von Ministerien werden kopiert, um an die Kontodaten ansuchender Bürger zu gelangen; vermeintliche Testkits werden verscherbelt und niemals geliefert; elektronische Kettenbriefe locken mit Falschmeldungen auf dubiose Seiten zum Datenraub. Klassisch analog verhalten sich jene, die in voller Schutzmontur in den Wohnungen nichtsahnender Pensionisten auftauchen, um Gegenstände zu desinfizieren und dabei Schatullen mit Erspartem mitgehen lassen.
(Wer die Schwächsten beraubt, hat einen Wiedereintritt in die Gesellschaft bis auf Weiteres verwirkt.)
Ins Irrenhaus gehen, um verrückt zu werden. Ins Krankenhaus gehen, um sich einen Virus einzufangen. Zum Leichenbestatter gehen, um zu sterben. Alles hat seinen Ort.
Der Alleinleber in seinem schöngelebten Haus. Erst durch die verstreut herumliegenden Gegenstände, die aufgeschlagenen Bücher und eingetrockneten Obstschalen, durch die achtlos abgestreifte Kleidung und die Armee von Bleistiftstummeln, erst durch die ungeputzten Fenster und kaffeegescheckten Flächen, durch die Erdklumpen am Boden, die Grashalme und Blätter da und dort, erst durch die Spuren des Tagvergehens hat alles seinen Platz und seine Form und seinen Raum, und erst durch den Menschen, der in dieser Lebenskulisse sich aufhält und ausbreitet, bekommt jedes Buch und jedes Blatt und jeder Stift seine Berechtigung, und die Anordnung der Dinge ihre Folgerichtigkeit.
Ist Peter Handke ein Messie?
Von anderen beigebracht kriegen, wie gut es einem selbst eigentlich geht.
Die Weltfirma brummt. Sie liefert rastlos aus und sucht nach tausenden, nach zehntausenden Arbeitsdrohnen – runner im fulfillment center. Damit man dem Ansturm in irgendeiner Weise gerecht werden kann, werden bestimmte Produktkategorien derzeit unterschiedlich priorisiert. (Hygieneartikel oder Nahrungsmittel fallen einem ein.) Manches wird problemlos und ohne Verzögerung geliefert. Bücher gehören nicht dazu. Vibratoren angeblich schon.
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– Elektrische Massage Therapeutische Bar. Flexibel Massagekopf mit 7 starken Vibrationsmustern, gut für Nacken, Rücken, Schulter, Beinmassage, hilft Muskelverspannungen lindert, Gliederschmerzen oder Schmerzen und hilft Sport Erholung.
– Stark Stärke Massage Vibrator Wand. Es ist ein gutes Zubehör für Single oder Paar Vergnügen Tausende Zeit der Test nur für die beste vibrating Stärke, erhalten Sie einen evolution für Körper Massagegerät und persönliche Spaß / Vergnügen bringt.
– Luxusentwurf. Hergestellt aus glattem, hypoallergenen Silikon für sexual Stimulation und Körpermassage tragbarer und vernünftigen geschwungene, verhindern glatte Massage fühlt sich wohler!
– USB aufladbare, wasserdicht (nicht einweichen in Wasser), Langlebige (einmalige Vollladung 1 Stunde Nutzung), Kompakte Größe Anzug für Reise, Bad, Massageraum, Schlafzimmer entspannen.
– Hinweis: Massage nicht Wunden, Brust- oder Rachenraum. Halten Sie es außer Reichweite von Kindern.
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Diskreter Verpackung.
Eines Tages sich wieder aufraffen zum Versuch einer Geschichte.
Die Straße dünnt aus, also kehre ich um.
Wir sind Legenden, früher waren wir nur Helden.
Alles ist müde.