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26 Samstag, 11.04.2020

Alte Virologen-Weisheit: There’s no glory in prevention.
(Man beachte, wie einem ständig die Wohnung nicht abbrennt.)

China, du alter Reissack – komm, weih mich in deinen Fünfjahresplan ein!

Das Handy als schwarzer Spiegel, in dem man unterwegs etwas zwischen den Zähnen hat.

In den Ohrmuscheln haben sich drahtlose weiße Kopfhörerstöpsel eingenistet. Ich stelle mir vor, dass sie einem ständig herausfallen, und möchte es beweisen, indem ich beginne, sie den Leuten herauszuziehen. Das geht ins Geld, denn die Stöpsel sind teuer. Weil von ihnen kein Kabel abzwirbelt, scheint es weniger unhöflich, sie im Gespräch nicht abzulegen, was jedoch falsch ist. Am meisten betrifft es Supermarktkassierer, die als seelenlose Produktverschieber wahrgenommen werden. War es früher besser oder nur anders schlimm?

Fast noch mehr Angst als vor dem Anruf habe ich davor, dass er nicht kommt.

Beim Spazieren im Prater hat mir der Herbst eine Kastanie geschenkt. (Frische Kastanien sind bekanntlich das Glatteste auf der Welt.)

Mit Notizbuch in der Badewanne. Am Haaransatz bilden sich Schweißperlen, rinnen über die Stirn in die Augen. Sie brennen vor Salz. Kommen sie vom heißen Wasser oder der Unbedingtheit, mit der ans Werk gegangen werden muss? Von beidem.

Im Schreiben daheim.

Buchtitel: Corona Overkill

Einheitsblondinen mit Zahnstocherbeinen – erfrorene Schönheit.

Neulich am Grenzübertritt. Der angehaltene Sportwagenlenker beteuert, sein Doppelwohnsitz sei eben kein Schmäh, sondern von der Behörde abgesegnet. Er habe ein Papier, das alles regelt und erklärt. Doch die Beamten bleiben hart. Da könnte ja jeder kommen.

Man biegt links ab in die Ukraine – und plötzlich ist da eine Tante mit irgendwelchen Kartoffeln.

Niemand – weder ein Mensch noch eine Institution, keine Gesellschaft und kein Staat –, wirklich niemand darf sich mit aller Konsequenz für den Ernstfall wappnen. Man würde den Verstand verlieren. Kein Gesundheitssystem darf im Normalbetrieb so viele Intensivbetten bereitstellen oder so viel Schutzkleidung vorrätig halten, wie es nach pessimistischer Prognose einmal brauchen könnte, sondern bloß etwas mehr, als es gemeinhin braucht. Ein auf die kommende Katastrophe schielendes Leben ist in eine Sackgasse gelebt. Vorbereitung braucht gesundes Maß.

Lektorin Merle prophezeit: jetzt vernähen alle ihre restbestände, die kleinststoffe, aus denen man außer stofftaschentüchlein und puppenunterwäsche nichts mehr machen könnte.

Jeder wird plötzlich zum Beziehungsdetektiv, der Lebens-, Liebes- und Wohnverhältnisse seiner Mitmenschen auskundschaftet. Jeder steckt seine Nase in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen – und jene, die es ohnehin schon taten, tun es jetzt umso mehr. Wie ist das denn:
Seid ihr eigentlich zusammen seit wann seid ihr denn zusammen wohnt ihr überhaupt zusammen weil man darf doch nur miteinander spazieren wenn man gemeinsam wohnt nur Leute aus dem gleichen Haushalt sagt der Minister gleicher Haushalt hat es doch immer geheißen lebt ihr denn im gleichen Haushalt und wenn euch jemand aufhält und wenn euch jemand erwischt und wenn die Polizei euch eine Strafe aufbrummt und wenn ihr eine Anzeige bekommt aber ihr seid doch geschieden darf der Vater da denn überhaupt die Kinder ja ich weiß dass er sie sicher sehen will aber dürfen muss er darf er denn und wir wussten ja gar nicht dass ihr beide zusammen weiß das denn deine Schwester oder hast du der auch nichts oder wissen deine Eltern und wenn man euch beide sieht auf der Straße oder versteckt ihr euch drinnen und beim Chat letzte Woche waren Geräusche zu hören aus ihrer Wohnung ja wenn ich es dir sage ein Wasserrauschen wie von einer Spülung ich wette sie hatte Besuch da verwette ich alles eine Klospülung nicht von den anderen sondern schon direkt bei ihr wer das wohl war und sie hat nichts gesagt ob die das darf und dürfen die eigentlich und dürfen wir noch und darf man bald wieder und seid ihr jetzt zusammen oder nicht? (Details dazu demnächst in unserer Stasi-Akte.)

Zeit ist genug da. Du brauchst sie dir nur zu nehmen.

Ein regelmäßiger Podcast mit Fluglärm und Baustellengeräuschen – für ehemalige Stadtmenschen, die Einsiedler geworden sind, jedoch ihr natürliches Umfeld vermissen. Das Material wird von jemandem kuratiert. Er ist nicht verrückt.

Traumbild: Von meiner Arbeitsstelle werde ich zu einer Veranstaltung geschickt. (Ich habe den Termin beinahe verpasst, was mir schlechtes Gewissen bereitet.) Es handelt sich um ein Treffen von Eingeweihten und Spezialisten. Ich stelle mich vor eine Wand, wo mir ins Gesicht geschlagen wird. Um zu beweisen, dass ich es kann, wird mir ein zweites Mal ins Gesicht geschlagen. Später sitzen wir im Sesselkreis. Es wird geflüstert, wer einen Preis verdient hat. Ich höre meinen Namen, schon bevor er verraten wird. Weil ich blute, gewinne ich. Der Preis ist ein Buch. Im Hochschrecken aus dem Traum klopft mein Herz, weil ich den Termin beinahe verpasst habe, was mir gegenüber meiner Chefin furchtbar peinlich ist. In Zukunft möchte ich gewissenhafter sein.

Wir lösen uns auf, um davon zu erzählen.

Ein Programm der Vereinten Nationen, bei dem Prominente in Krisengebieten abgesetzt werden, um Bombardierungen oder den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Es müssen echte Weltstars sein, die sich kameratauglich vom weißen Helikopter abseilen in die versammelte bedrohte Minderheit. Brad Pitt oder George Clooney böten sich an. Wer traut sich schon, ein Dorf auszulöschen, wenn die A-Liga Hollywoods zugegen ist? Nicht einmal der größte Menschenschlächter will für den Tod Brad Pitts verantwortlich sein. Das ginge dann aber wirklich zu weit. Ich werde meinen Vorschlag bei der nächsten Vollversammlung den Staats- und Regierungschefs unterbreiten. Rohingya und Kurden – und wie sie alle heißen – werden es mir danken.

In die Luft gesetzte Gänsefüßchen schirmen den politisch nicht korrekten Witz vor Angriffen ab, da sie ihn zu einem „potentiellen Zitat“ werden lassen, also zu etwas, das man „sagen könnte“. Alle lachen und verschlucken sich am Bier.

Die ehemalige Freundin eines Bekannten sei ins eben erschienene Moll-Album eingetaucht und aktuell bei Was wir uns trauen hängengeblieben. Ihre Lieblingsstelle sei „…mit charmanter Nonchalance schief lächelnd…“, vor allem der Übergang von „Nonchalance“ zu „schief“, der klinge wie eine Rutsche, die naturgemäß ja auch schief sei, und das passe herrlich. Und die sch-sch-sch-Folge schiebe einen so nett sanft weiter auf dieser Rutsche: wie die Brandung den Algenteppich in Richtung Strand ausrollt. (Auf dieses einprägsame Bild wäre ich nie gekommen.) Warum sie mir das mitteilen wolle, wisse sie nicht genau, aber sie schätze, das sei die Zeit dafür.

Wir müssen das Wort naturgemäß aus der Vereinnahmung durch Thomas Bernhard befreien.

Das Aufgehobensein in der Gewissheit, dass alle – alle! – zur selben Zeit in etwa dasselbe erleben. Nicht bloß im eigenen Land, sondern auf der ganzen Welt. Haben wir jemals eine solche Verbundenheit mit unseren Artgenossen verspürt? – gab es jemals eine so gesicherte Möglichkeit dafür? Corona als gemeinschaftsstiftendes Ereignis – wenn wir es sehen und sagen und tun.

Unterhaltsamer Nacht-Spam:
Hallo Zusammen, Magst du Sex? bist du single?
Ich habe eine neue Gruppe für Dating und Sex erlebt.
Jeder kann sich meiner Gruppe ohne jegliche
besondere Rechte geben, es gibt viele schöne
und charmante Mädchen, die Sex brauchen.
Wenn Sie sexy Frauen treffen, können Sie sich
der Gruppe führen, da alles kostenlos ist, ohne
Geld zu haben.
Um eine Gruppe zu tragen, können Sie diese
Adresse
(hier folgt ein dubioser Link.)

Notizbuch als adäquate Form für eine aus den Fugen geratende Welt. (War sie denn jemals in den Fugen?)

Im schwierigen Sommer eines langen Jahres habe ich sinngemäß bei einem Gasthaus-Essen zu Freunden gesagt: Man ist eigentlich nie ganz gesund, weil im Körper passieren ständig irgendwelche Dinge, die nicht richtig sind, mit den Zellen und so, man ist eigentlich immer krank, meistens halt nur wenig.
Für diesen Ausspruch erntete ich ungläubiges Nicken. So, sagten die Freunde, hätten sie das noch nie gesehen.

Insgesamt hat man es entspannter, wenn es einen nicht gibt.

Jetzt, da alles vorbei ist, können wir endlich anfangen.