Kategorien
Allgemein

22 Dienstag, 07.04.2020

Bald wird alles ganz anders gewesen sein.

Erwachsene auf Skateboards sind Vollpfeifen.

Die Schlange vor der Post ist lang. Brav halten wir Abstand. Erst wenn man bis zum Eingang vorgerückt ist, darf man sich per Fingerwisch am Touchscreen eine Nummer aus dem Automaten ziehen. Nach dem Aufgeben meiner Sendung gehe ich hinaus und sehe, dass die Postschlange bedrohlich gewachsen ist und nun in einer gemächlichen Kurve fast bis nach hinten zur Rolltreppe führt. Der Letztgereihten steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Ihr gilt mein ganzes Mitgefühl. Es ist die Schmach der verlorenen Zeit. (Notiz an mich selbst: Für alltägliche Besorgungen in naher Zukunft ausreichend Wartepuffer einplanen.)

Der Hustende in der Apothekenschlange wird mit Blicken vernichtet.

Fernando Pessoas Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares ist vielleicht das einzige, das jemals hätte geschrieben werden müssen.

Der kostenpflichtige Zusatzfilter bei einer Dating App: Immune. (Nur sinnvoll mit fälschungssicherem elektronischen Gesundheitszertifikat.)

So freudig in Empfang genommen werden wie die heranbrausende U-Bahn vom luftgebauschten Kind.

Poetischer wäre meistens, etwas nicht getan zu haben.

Mit den Mitteln der Sprache den Beweis erbringen, dass es anstatt zweier Wirklichkeiten – meine eigene und jene der Welt – bloß eine einzige gibt, nämlich die zusammengedichtete Konsenswirklichkeit.

Etwas ist aus der Not geboren. Wie lebensfähig wird es sein, sobald diese endet?

In einem Anfall von Sport joggte er los.

Demonstrationen gegen das Versammlungsverbot.

Spätabends bei Wien Mitte holt sich eine Gleichaltrige ihr Citybike. Sie fährt ein paar Meter. An der großen Kreuzung bleibt sie stehen, steigt ab, klappt den Seitenständer aus und beginnt energisch am Sattel zu ruckeln. Etwas passt nicht, sie versucht es zu richten. Das Fahrrad bewegt sich dabei sehr. Mittlerweile habe ich sie eingeholt und schaue unschlüssig zu. Sie stemmt sich gegen das Rad, es sieht anstrengend aus. Ich öffne den Mund, setze zur Frage an, lasse es bleiben. Es hilft nichts, da fehlt ein Gegenzug. Dann also doch: Ich frage, ob ich das Rad kurz festhalten soll, und deute auf die Lenkstange. Die andere richtet sich auf und entstöpselt verwirrt das Ohr. Sie hat mich zwar gehört, allerdings nicht verstanden. Ich wiederhole die Frage. Sie denkt nach. Ohne es auszusprechen, denken wir beide an den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand.
Ich stelle mir vor, wie ich das Vorderrad zwischen meine Beine klemme, die Lenkstange umfasse und das Citybike behelfsmäßig fixiere, sodass sie in Ruhe den Sattel zurechtrücken kann. Das wäre ein Meter, denke ich, da wäre doch ein Meter zwischen uns. Allerdings hätte ich dann mit bloßen Händen die Lenkstange berührt – die berühren doch ständig irgendwelche Leute. (Ich fand das schon immer unhygienisch; auch bei sirrenden Scootern.) Die Gleichaltrige lehnt dankend ab, es werde schon gehen. Aber sehr nett, sagt sie. In Gedanken sieht sie mich ihr beim Festhalten des Rads zu nahe kommen, denke ich und nicke einverstanden. Sie gibt den Stöpsel zurück ins Ohr und wendet sich wieder dem Sattel zu. Ich warte an der Ampel, dann gehe ich über die Straße.
Später sehe ich sie an mir vorbeiradeln ins dunkle Auge der Stadt. Ich frage mich, wie bequem sie dabei sitzt.

Seine Ungepflegtheit kultivieren.

Die Bonuszahlungen an Supermarktmitarbeiter sind löblich. Wäre da nur nicht die stillschweigende Verteuerung des Salats – offiziell zu begründen mit Exportschwierigkeiten und Lieferengpässen. Konzerne wissen sehr genau, wo sie sich etwas zurückholen. Auch das Verkaufen der Schutzmasken im Dreierpack am Eingang ist pikant; angeblich symbolisch unter dem Selbstkostenpreis, als erzieherische Maßnahme, um den Kunden den Wert des Wegwerfsprodukts zu verdeutlichen. Nett auch von den Supermarktbetreibern, den Verkauf von Non-Food einzuschränken, sobald sie damit einen schönen Gewinn erzielt haben – aus Solidarität mit Fachgeschäften, die geschlossen bleiben mussten. Wahrscheinlich, denke ich, behaupte ich allzu locker drauflos. Es wird schon alles seine Richtigkeit haben.

Wir stecken gemeinsam im Aufzug fest. Hilfe lässt auf sich warten. Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten: Sich umbringen oder verlieben. (Und wir lösen das Problem der fälligen Notdurft.)

Die Autorenbiographie auf der Umschlaginnenseite eines Buches: Er studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u. a. in Paris und New York. Ich verlese es erstaunt zu: … und überlebte verschiedene Berufe

Bei Lebensläufen fehlt das Geburtsjahr, wenn eine Frau nicht zugeben möchte, dass sie jünger aussieht, als sie ist; oder wenn jemand das Gefühl hat, für sein Alter noch nicht genug erreicht zu haben und sich dafür schämt.

Unterwegs finden mich Sätze, es sind leise Vergegenwärtigungen.

Mit sich selbst klärende Gespräche mit anderen führen.

Gemeinschaft der Hustenden – und das ewige Räuspern. Amen.

Etwas nähert sich. Ich weiß weder, worum es sich handelt, noch woher es kommt. Auch wann es eintreffen wird, kann ich nicht sagen, genauso wenig, ob sein Erscheinen für mich bestimmte Auswirkungen haben wird. Aber dass sich etwas nähert, weiß ich ganz genau.