Schimpfbank oder Bankschimpf – Ein Stadtpark-Monolog:
Entschuldigung, ich möchte ja nichts sagen, aber ich frage mich, ob Sie eigentlich verstehen, worum es hier geht. Warum wir das alles jetzt machen. Weil es doch nicht sein kann, dass Sie ihre Tochter da mit diesem Burschen. Ja, ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld war, weil der liebe Herr dort nicht in der Lage ist, seinen Sohn bei sich zu halten. Aber dann liegt es an Ihnen, dass Sie Ihre Tochter da wegtun. Doch, natürlich habe ich das gesehen. Ich habe gesehen, wie dieser Bub dort von der Bank aufgestanden und zu Ihrer Tochter hingelaufen ist. Und Sie haben sie nicht weggezogen von dem Bub, sondern er hat sie angegriffen. Ja, ich weiß, dass das Kinder so machen, aber nicht jetzt. Weil jetzt müssen wir uns gemeinsam daran halten, sonst bringt das alles nichts.
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Nein, mir ist klar, dass Sie Ihre Tochter nicht anbinden können, aber dann müssen Sie als Mutter in der Lage sein, darauf zu achten, dass sie bei ihnen bleibt. Und wenn Sie das nicht schaffen, dann müssen Sie daheim bleiben. Dann können Sie nicht hinaus. Ja, ich verstehe schon, dass das nicht geht. Aber so geht es auch nicht. Wie bitte? Wie bitte, was? Ich glaube, ich habe mich verhört, das ist unglaublich. Sie haben es einfach nicht verstanden. Natürlich kann Ihrer Tochter nichts passieren, weil sie jung ist und weil Kinder insgesamt nicht gefährdet sind. Aber darum geht es ja nicht. Es geht darum, warum wir alle das machen. Damit die Kette unterbrochen wird. Die Kette! Die Kette! Haben Sie keinen Fernseher und kein Radio und kein Internet? Es geht nicht darum, ob Ihre Tochter krank wird, sondern darum, dass sie es nicht merkt und dass sie es mit sich herumträgt und verbreitet. Und dann wandert es munter weiter, das Virus, der Virus. Wurscht.
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Eigentlich ist dieser Mann Schuld. Mit seinem Bub. Der hat es auch nicht verstanden. Dass er entweder zu Hause bleiben muss oder dass er seinen Sohn festhält. Der hat ja, glaube ich, Englisch gesprochen, er ist nicht von hier. Aber das ist keine Entschuldigung. Er muss darauf achten, dass sein Sohn nicht zu wildfremden Kindern hinläuft und ihnen ins Gesicht patscht. Ja, wenn er nicht sofort weggegangen wäre, dann hätte ich auch ihm ordentlich die Meinung gesagt. Auf Englisch. Aber wenn es solche Leute gibt, die ihre Kinder frei herumlaufen lassen, dann müssen Sie das wissen und darauf reagieren, und dann müssen Sie Ihre Tochter zu sich herziehen und in Sicherheit bringen. Sozusagen in Sicherheit. Sie sind die Mutter und es ist Ihre Verantwortung. Ich habe Freunde, die sind am Limit. Ich kenne Ärzte. Es ist wichtig, wie wir uns verhalten. Man muss sich bei allem immer den Arzt vorstellen.
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Sie haben es noch immer nicht verstanden. Genau wegen Leuten wie Ihnen wird das alles immer weitergehen und immer länger dauern. Das ist alles wegen Leuten wie Ihnen, die zu blöd sind und es einfach nicht verstehen. Ich könnte auszucken. Es ist zum Randalieren. Ich halte mich an alles. Ich mache alles mit. Ich bin allein zu Hause, nur jeden zweiten oder dritten Tag gehe ich hinaus. Ja, man darf auf einer Bank sitzen. Man muss Sonne tanken, sonst wird man verrückt. Nein, ich habe die Bank vorher nicht desinfiziert. Das geht doch nicht durch das Sakko. Machen Sie sich bitte nicht lustig über mich. Sie kennen sich einfach nicht aus. Wie oft noch? Es ist eben falsch, dass es Ihre Tochter nicht betrifft, weil sie jung ist. Das ist ja eben der Irrglaube. Das ist der fatale Irrglaube, der uns das Leben kosten wird. Sie verstehen es einfach nicht. Sind Sie so blöd oder tun Sie nur so? Das kann es doch nicht sein.
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Die Alten und die Vorerkrankten haben einen schweren Verlauf und müssen ins Spital. Wissen Sie, wie viele Intensivbetten wir haben? Wie wenige das sind. Die Alten verstopfen das System. Und wissen Sie, was dann los ist? Wenn Ihrer lieben Tochter irgendetwas passiert, egal was, dann haben Sie ein Problem. Wenn Ihre Tochter in ein Auto läuft, wenn sie von einem Hund gebissen wird – es sind gerade genug unterwegs, ohne Beißkorb, ohne Leine manche auch – und Ihre Tochter greift ja eh zu allem hin, wie bei dem Bub. Wenn Ihre Tochter auf eine Scherbe steigt und dringend genäht werden muss, wenn sie wo dagegenläuft und eine Platzwunde hat, wenn sie irgendwie anders krank wird, Kinder in diesem Alter sind ja so anfällig auf alles. Dann können Sie nicht ins Spital. Dann haben die Krankenhäuser nicht mehr die Kapazitäten, um Ihrer Tochter zu helfen. Es gibt keine Rettung für Ihre Tochter. Haben Sie es dann endlich verstanden? Verstehen Sie es jetzt?
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Entschuldigung. Das wollte ich nicht. Ich wollte Sie nicht zum Weinen. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie es verstehen. Weil so viele Leute verstehen es so schwer. Natürlich wünsche ich mir nicht, dass Ihrer Tochter irgendetwas passiert. Ihr wird auch nichts passieren. Und Intensivbetten haben wir hier eh noch knapp ein Drittel frei. In absoluten Zahlen sind das – gestern war es in den Nachrichten. Vielleicht liegen bei uns allen die Nerven schon ein bisschen blank. Aber wir müssen das jetzt machen. Weil wenn es nicht alle machen, braucht es gar keiner zu machen, weil dann bringt es nichts, und dann geht es immer weiter und dann hört es niemals auf. Und dann sitzen wir noch in zwei Monaten daheim. Und dem Vater von dem Bub, wenn ich ihn sehe, werde ich das auch noch sagen. Damit er es versteht. Vielleicht finde ich ihn. Ich glaube, er ist dort hinten. Auf Englisch. Am besten mache ich es jetzt gleich sofort. Alles Gute. Auch Ihrer Tochter. Bitte. Bleiben Sie gesund.
(So oder so ähnlich aufgeschnappt.)