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10 Donnerstag, 26.03.2020

Ob sich eine gewisse Biermarke bald umbenennen wird?

Man kann sich eigentlich nur gewissenhaft wundern.

Eine Bekannte sagt: Ich entdecke das Quarantier in mir. (Dabei trägt sie einen kompliziert gemusterten Bademantel aus den Neunzigerjahren.) Außerdem sei ihr Handy schon ganz verappt von der Vielzahl an Programmen zur reibungslosen Abwicklung der Kommunikation in alle Richtungen.

Schnelligkeits-Verschreiber einer deutschen Regisseurin: Daheimbleib-Kusntprohejet.

Anhaltende Heiserkeit. Trifft man sich – selten, aber doch – von Angesicht zu Angesicht, so hält man stets den gebotenen Abstand ein, muss also die Stimme erheben; manchmal geht man schräg versetzt, und der Wind schnappt einem frech ein paar Satzfetzen weg.
Bei Videochats neigt man ebenfalls zu sehr lautem Sprechen, weil man die Empfindlichkeit des eingebauten Mikrophons unterschätzt; brüllt den Laptop an wie einen Schwerhörigen (wie jene Altersheimbewohner, die man derzeit zu ihrem Schutz nicht besuchen darf).
Außerdem muss – und will! – man ständig mit irgendwem normal telefonieren, von so vielen will man hören, wie es so geht und was sich so tut, dass man kaum mehr hinterherkommt und höchstens abends einmal eine halbe Stunde Ruhe findet, einen müden Schöpfer Zeit, den man zum Ausgleich mit sich selbst verbringt, eine abgezwackte, hart erkaufte halbe Stunde, in der man sich einen Brocken Hühnerfleisch in die Pfanne haut und den übertakteten Kopf durchlüften darf. (Unterbrochen nur vom mütterlichen Vorwurf: Vorgestern haben wir uns dreißig Sekunden gehört. Und es stimmt. Entspannte Aussöhnung beim nächsten Morgenkaffee.)

Für Videochats – gerade in Gruppen – braucht es eine gewisse Gesprächsdisziplin. Einer muss den anderen streng ausreden lassen. Wer ins Wort fällt, stört den Segen der Begegnung.
(Hustetikette, Gesprächsdisziplin – was sind wir nur für normierte Gesellen! Wie schön wird es sein, einander dann wieder vorlaut ins Gesicht zu rotzen so wie früher.)

Das Leben ist in den virtuellen Raum abgewandert. Kehrt es jemals zurück?

Eigentlich wollte ich doch nur in Ruhe den Pile of Shame auf Steam abarbeiten – abspielen. Nämlich:
Aviary Attorney
Burley Men at Sea
A Case of Distrust
Crossing Souls
Dead Synchronicity: Tomorrow Comes Today
DeadCore
Deus Ex: Mankind Divided (Digital Deluxe Edition)
Dust: An Elysian Tail (sic)
Kathy Rain
Kentucky Route Zero (Act V)
Mad Father
Missing Translation
Shardlight
(Und was ist mit GOG.com und Epic Games Store? Gusch!)

Stille Feiung – Immunantwort des Körpers bei asymptomatischem oder stummem Verlauf; sprich: man ist infiziert, ohne es zu bemerken, und entwickelt im Geheimen eine Immunität.
(Ein diskreter Vorgang, in dem auch ich mich derzeit befinden könnte, nachdem ich so fleißig den Handlauf der Rolltreppen abgeschleckt habe.)

Zurückschlagen heißt: Aus China kommt jetzt eine Großlieferung Masken. Nimm das, du depperter Virus! (Heute scheint sie im feinfühligen Schöngeist wieder durch – die derbe Ader.)

Gedanken haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Mein Bruder weist mich amüsiert darauf hin, dass am Ende von E-Mails manchmal der Hinweis steht: Garantiert virenfrei. (Machen wir das ab jetzt auch handschriftlich auf Briefen?)

Der Tag ist schön; man sieht es ihm nicht an.

Wie befremdlich es sein wird, jemanden dann wieder in echt zu sehen.

Und trotzdem die Selbstverpflichtung: Wir werden das Beste daraus gemacht haben.

Bequem dich in die Hoffnung.

Der Regierungschef lässt sich von einem Assistenten noch rasch ein Hustenzuckerl aus dem Papier schälen und unauffällig zustecken. Eine Minute vor der Live-Schaltung lutscht er panisch daran herum. Denn er weiß: Jetzt husten – und es purzeln die Kurse. (Vielleicht war es aber gerade die hektische Übergabe des Zuckerls, das in wenigen Tagen zum positiven Testergebnis führt.)

Das laszive Räkelbild des eindeutigen Fake-Profils. (Werauchimmer Soundso hat dir eine Freundschaftsanfrage gesendet.)

Der Paketzusteller lächelt eilig zurück.

Draußen ein Hupkonzert – ist dafür denn überhaupt noch genug Verkehr?

Ein Kulturkoch empfiehlt mir nach meiner gestrigen Glühbirnenexplosion, auf LED-Lampen umzusteigen – garantiert explosionsfrei. Den globalen Finanzjongleuren empfiehlt er ein vorübergehendes Aussetzen des Aktienhandels, um die Märkte abzukühlen und nicht parallel zum Lösen der Probleme gleich wieder neue in Gang zu setzen. Dazwischen nippt er am irischen Whiskey – der nicht gut schmecken muss, um gut zu sein.
(Das Glitzern am Vorzimmerteppich entpuppt sich als hartnäckiger Glühbirnensplitter.)

Ich bin jetzt der verschrobene Einzelgänger, der auf der Straße alle begrüßt und ein Gespräch anfängt – und keiner findet es sonderlich schrullig. Meine Neugier auf die Perspektive der anderen ist grenzenlos, ich frage sie aus mit aller gebotenen Unverschämtheit:
Wie geht es, wie vergehen die Tage, wie ist das Arbeitsleben organisiert, wie gelingt die Kinderbetreuung, wie beengt sind die Wohnverhältnisse, wie beurteilt man das Weltgeschehen, welche Serie ist gerade gut, welche Spiele zockt der Nachwuchs, wie fähig sind aus der Ferne die Lehrer, wie machen sich die Politiker, wie schnell kommt das vielversprechende Medikament auf den Markt, wie bald dürfen wir mit einer Aufhebung oder wenigstens Lockerung der Beschränkungen rechnen, wie sehr sollten wir autoritätshörige Asiaten sein, was kann man der Lage abgewinnen, wie begeistert ist man vom Zusammenrücken der Mitmenschen und der überbordenden Kreativität der Geschäftsleute, haben sich auch aus der eigenen Familie welche freiwillig gemeldet, um wen sorgt man sich, wann werden die Grenzen geöffnet, wie sieht die Welt in ein, zwei, fünfzehn Jahren aus, und ist man denn überhaupt schon dazu gekommen, die Fenster zu putzen und am Kamin ein gutes Buch zu lesen?
Diese Fragen schuften sich bei uns allen permanent mähdrescherartig durch den Kopf, doch ich traue mich begegnungsweise jeweils nur ein paar davon zu stellen.
(Zur Abgleichung des Mähdrescher-Bilds – zwischen Vorstellung und Wirklichkeit klafft gern eine Lücke – konsultiere ich das Drohnenvideo einer epochalen Getreideernte, bei der ein halbes Dutzend kraftstrotzender Maschinen ans Werk gehen. Es ist mit smoothem Dubstep-Teppich unterlegt, auf dem das überlegene Dröhnen meiner ins Herz geschlossenen Neuzeit-Mammuts wunderbar zur Geltung kommt. Bei nächster Gelegenheit möchte ich zur Weltleitmesse in Hannover jetten, um diese Wunderwerke der Technik in all ihrer majestätischen Pracht ergriffen zu betatschen. Es war Liebe auf den ersten Klick.)

Lektorin Merle ist der robusteste Mensch Tirols. (Verständlich, dass ich nach der überbordenden Mähdrescher-Passage an die berechtigte Streichfreude dieser Berufsgruppe denken muss.)
Lektorin Merle hält arbeitsam die Stellung. Eine Nachbarin mit Hund habe beobachtet, wie die Polizei in ihrer Gegend jeden auf dem Gehsteig kontrolliere – wo man wohne, was man hier mache, wohin man wolle und warum. (Polizeistaat ist nicht nur ein Wort.)
Also nein, sagt Merle, kein Ausflug mit den Kindern. Aber sie würden jetzt mit dem Müll runtergehen (darf man) und zweimal um den Block rennen (darf man auch). Vielleicht nehme sie erstmal nur den Kompost mit und laufe für Papier und Plastik noch zweimal rauf – ihr fehle echt die Bewegung.
(Mein aufgekratzter Schaffensdrang weicht einer beunruhigten Nachdenklichkeit. Weitere Beispiele für Willkür sind dokumentiert. Angst machen sollten uns jene Polizisten, denen das alles gerade irgendwie taugt. Es gibt sie, und wir werden sie zur Rechenschaft ziehen.)

Die Vernunft der Politiker hat sich über die Mündigkeit der Menschen hinweggesetzt.

Wie seltsam einverstanden ich mit allem bin.

Weiter Pläne schmieden – nur eben mit offenem Zeithorizont.